Last oder Freude?

Zu guter Letzt
Ausgabe
2022/14
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20646
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(14):498

Affiliations
Dr. med., ehem. Präsident des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung SIWF

Publiziert am 06.04.2022

«I suppose you want to be remembered as a competent ­clinical teacher. It is one of the highest professional privileges anyone can wish for.»
Diese Worte von W.J. Hall, einem hervorragenden ­Geriater und ehemaligen Präsidenten des American College of Physicians, kommen mir immer wieder in den Sinn, wenn ich mit Situationen der ärztlichen Weiterbildung in der Schweiz konfrontiert werde.
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass die Assistenzärztinnen und Assistenzärzte gut auf ihr zukünftiges Berufsleben vorbereitet werden. Das Gleiche gilt für die Studentinnen und Studenten an den Medizinischen Fakultäten.
Und doch! Und doch beschleichen mich immer wieder Sorgen und Zweifel. Sie betreffen einerseits Einzelfälle von Weiterbildungsstätten, welche die Anforderungen nicht genügend erfüllen, und andererseits Entwicklungen, welche den Stellenwert des Lehrens an unseren Spitälern in Frage stellen und bedrohen. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Auch in der Schweiz gibt es unzählige Kaderärztinnen und -ärzte, welchen die Schulung und Förderung ihrer jungen Kolleginnen und ­Kollegen ein echtes Anliegen ist, für das sie sich mit ­ihrer ganzen Energie und auch als Vorbilder engagieren. Ihnen wird diese Aufgabe aber an vielen Orten zunehmend schwer gemacht, weil der Stellenwert der Ökonomie und der Effizienz an ihren Arbeitsstätten stetig ­zunimmt, wohingegen die Sorge um eine gute Weiterbildung, die nun halt einmal genügend Zeit und damit Geld benötigt, in den Traktandenlisten der Spitaldirek­tionen weiter und weiter nach hinten rutscht.
Dazu kommen leider auch Spitalverwaltende und einzelne ärztliche Kaderangehörige, welche die Verpflichtungen der Weiterbildung schlicht als Last und notwendiges Übel empfinden. Viele von ihnen machen geltend, sie sähen die Notwendigkeit schon ein und sie würden sich ja gerne mehr engagieren, aber mit dem System des Zeitmangels, des knappen Geldes und der fehlenden Anerkennung könne man dies von ihnen nicht verlangen. Oft wird dann noch darauf hingewiesen, dass niemand auf der Grundlage seiner didaktischen Qualitäten Professorin resp. Professor oder Chefärztin resp. Chefarzt an einer grossen Klinik werde, sondern weil sie oder er sich in der Forschung, im Publizieren, in der effizienten Dienstleistung und im Management profiliert habe.
Diese beunruhigende Problematik existiert nicht nur hierzulande. Zusammen mit anderen, welche die verschiedenen Systeme gut kennen, habe ich zwar den Eindruck, dass das «teaching» und die Betreuung der jungen Ärztinnen und Ärzte in den angelsächsischen Ländern traditionell einen höheren Stellenwert haben als bei uns. Doch trotz dieser hohen Anerkennung, welche die «medical education» auch in England geniesst, kämpfen die Verantwortlichen mit den gleichen Schwierigkeiten. In einem Dokument des Board of ­Medical Education werden die folgenden Herausforderungen für das «teaching» genannt: «a lack of appropriate teacher education, time pressures, a lack of recognition and reward, funding and support, changing patterns of healthcare and societal values, practical difficulties». Von der fehlenden Zeit über die beschränkte Anerkennung und ungenügende Finanzierung bis zu strukturellen Problemen (kürzere Hospitalisierungszeiten, Verschiebung vieler Interventionen von stationär nach ambulant, ungenügende Patientenzahl) sind es die gleichen Bedenken und Sorgen wie bei uns.
Ich verstehe diesen Artikel als Appell: Noch dürfen wir davon ausgehen, dass die Qualität der Weiterbildung genügend ist. Dies bedeutet auch, dass die Qualität der ärztlichen Versorgung in Zukunft vorerst noch sichergestellt bleibt, denn sie beruht zu einem entscheidenden Teil auf der Kompetenz der Ärztegeneration, die jetzt in Weiterbildung steht. Der Erhalt dieser Qualität wird uns aber nicht geschenkt und ist keine Selbstverständlichkeit. Ohne Massnahmen, welche die Lehre in den Institutionen des Gesundheitswesens ganz konkret unterstützen, ist sie bedroht. Gegenwärtig erarbeiten die Verantwortlichen im Schweizerischen Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) und in den Fachgesellschaften die Grundlagen für die Einführung der kompetenzbasierten ärztlichen Weiterbildung. Sie wird nur dann gelingen und erfolgreich sein, wenn die absolut notwendigen personellen und materiellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Dazu gehört wohl auch, dass sie in die Leistungsaufträge der Spitäler hineingeschrieben werden.
Nur so wird die Hoffnung von Professor Hall in Erfüllung gehen und nur so wird das Lehren an unseren medizinischen Institutionen Freude machen und nicht als Last getragen werden müssen.
werner.bauer[at]hin.ch