Nur nein heisst Nein

Zu guter Letzt
Ausgabe
2022/18
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20724
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(18):614

Affiliations
Prof. Dr. theol., Mitglied der Redaktion Ethik

Publiziert am 03.05.2022

Nein, hier geht es nicht um einvernehmliche sexuelle Beziehungen, sondern um etwas, das uns noch näher steht als unsere Intimzonen, nämlich unser Herz, unsere Leber oder unser Dünndarm. Diese sollen, wenn es denn das Volk am 15. Mai gutheisst, ohne meinen expliziten Widerspruch, also ohne mein offiziell dokumentiertes Nein, bei meinem Ableben als Spendeorgane zur Verfügung stehen. Und daran scheiden sich die Geister.
Ich gestehe, ich war bei diesem Thema bisher ziemlich pragmatisch. Was soll ich nach meinem Tod mit Herz oder Leber anfangen? Da überlasse ich diese – sofern noch funktionstüchtig – lieber jemandem, der oder die damit noch etwas weiterleben kann. Und so habe ich in meinen Studienzeiten einen Organspendeausweis ausgefüllt und seither in einem Seitenfach meines Portemonnaies vergessen.
Jetzt hole ich ihn wieder hervor und betrachte ihn nachdenklich. Wenn nun am 15. Mai die Widerspruchslösung angenommen wird, dann brauche ich ihn ja gar nicht mehr. Dann wird einfach davon ausgegangen, dass das für mich okay ist – denn sonst hätte ich ja widersprochen. Nur ein explizites Nein heisst nein, alles andere heisst ja. Dafür soll man sich dann in ein nationales ­Register der Neinsager eintragen. Oder zumindest den Angehörigen einschärfen, dass sie gegebenenfalls dann auf der Intensivstation ihr Veto einlegen sollen.
Tatsächlich manifestiert sich in dieser Diskussion ein Paradigmenwechsel. Von einer Spende, einem Geschenk, das ich von mir aus anbiete, zu einer Erwartungshaltung, der ich mich widersetzen muss, wenn ich dazu nicht bereit bin. Dahinter stehen dann auch unterschiedliche Begründungszusammenhänge. Das Kästchen anzukreuzen, dass ich meine Organe spenden würde, eröffnet mir die Möglichkeit, grosszügig, nachhaltig und auch etwas stolz zu sein. Diese Möglichkeit kann ich umgekehrt auch entspannt ignorieren, ohne dass mir dabei ein Zacken aus der Krone bricht.
Wenn ich mich hingegen in das Register der Verweigerer eintragen will, birgt dies die Gefahr, egoistisch oder kleinlich zu wirken, vor anderen, aber auch vor mir selber. Der Normalfall ist die Spende; die Organe behalten zu wollen wird zum Spezialfall, der bewusst gewählt und begründet werden muss.
Hinzu kommt, dass es bei diesem Thema natürlich nicht nur darum geht, ob ich eine fröhliche Ja- oder eine verkniffene Neinsagerin sein möchte, und auch nicht, ob ich mit oder ohne meine vollständige innere Ausstattung beerdigt oder kremiert werden will. Es geht in der Diskussion auch um die Frage, wie tatsächlich alle erreicht werden könnten mit der Information, dass sie neuerdings Position beziehen müssen. Es geht darum, wie Angehörige in einer solch schlimmen Ausnahme­situation einbezogen werden, und last, but not least geht es um die Frage, wann ich wirklich «tot genug» bin, damit die Organentnahme nicht zur Sterbehilfe wird. Und natürlich darum, was ein gutes Leben beinhaltet und welche Pflichten ich meinen Nächsten gegenüber habe. Es geht um Life, the Universe and Everything, wie es der mittlere Band der unsterblichen SciFi-Serie von Douglas Adams wunderbar zusammenfasst. Und das sollen wir Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nun mit einem simplen Ja oder Nein entscheiden? So simpel ist es im Übrigen nicht – wenn die Abstimmungsvorlage abgelehnt wird, ist damit erst der indirekte Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament abgelehnt. Dann kommt die Volksinitiative zur Abstimmung, die kürzer und knapper ebenfalls die Widerspruchslösung verlangt. So schnell kommen wir da nicht raus.
Will ich Ja sagen können oder Nein sagen müssen? Ist ein Organ eine freiwillige Spende oder wird sie erwartet? Es ist vielleicht angesichts von knapp anderthalbtausend verzweifelten Menschen auf der Warteliste eine theoretisch-ethische Grundlagendebatte. Aber eine, die geführt werden muss, denn es geht zunächst ähnlich wie bei der Diskussion um sexuelle Gewalt um unser Intimstes. Meine Organe gehören mir. Punkt. Aber dann ist der Unterschied gross: Aber was, wenn damit ein ­anderer Mensch weiterleben könnte? Es gibt auch bedenkenswerte und respektable Gründe, keinen Spenderausweis zu unterschreiben. So jemand wird sich ­bestimmt gut informieren und seinen Widerspruch im Organspende-Register notieren. Aber was mache ich, wenn ich zwar nach meinem Tod alle meine brauch­baren Körperteile hergeben würde – aber doch einen Unterschied darin sehe, ob ich mich dazu aus freien ­Stücken entschliesse oder ob die Gesellschaft grundsätzlich davon ausgeht, dass sie alles von mir kriegt? Was, wenn ich nicht nur die Möglichkeit haben möchte, explizit Nein zu sagen, sondern gerne explizit Ja sagen will?
christina.ausderau[at]phtg.ch