Umweltsünder Asthmasprays: Es gibt gute Alternativen

Organisationen der Ärzteschaft
Ausgabe
2022/24
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20757
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(24):801-803

Affiliations
a Dr. med., Präsident Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU); b Dr. lic. phil., Geschäftsführer AefU

Publiziert am 14.06.2022

Dosieraerosole enthalten klimaschädliche Treibgase. Die Krankenkassen in der Schweiz vergüten rund 900 000 Stück pro Jahr. Würden hauptsächlich treibgasfreie Inhalationssysteme verschrieben, liessen sich pro Jahr rund 600 000 Asthmasprays und damit etwa 13 000 Tonnen CO2-Äquivalente einsparen – ohne negative medizinische Konsequenzen. Dies zeigt eine Recherche der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU).
In der Schweiz sind 21 verschiedene Dosieraerosole auf dem Markt. Ihr Treibgas ist 1430- bis 3320-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid (CO2). Die Bundesbehörden erfassen die Anzahl der verkauften Dosieraerosole nicht. Sie wissen also auch nicht, wie viel Klimagas durch Asthmasprays in die Umwelt gelangt. Die AefU haben dies nun mit einer eigenen Recherche erhoben [1].

Dosieraerosole: Ersatz der Ersatzgase

Der erste Inhalierspray kam 1956 auf den Markt. Asthmasprays enthielten zuerst als Treibmittel Fluorchlorkohlenwassertoffe (FCKW). Diese zerstörten in der Stratosphäre die Ozonschicht (Ozonloch), die uns vor ultravioletter Strahlung schützt. 1987 hiess die Staatengemeinschaft das Montrealer Protokoll der Vereinten Nationen gut, das FCKW mittelfristig verbot. 1990 brachte zudem die schwedische Pharmafirma Astra den ersten Pulverinhalator auf den Markt, der keine Treibgase benötigt. Das FCKW-Verbot und die Konkurrenz durch umweltverträglichere Pulverinhalatoren setzten die Hersteller von ­Dosieraerosolen unter Druck. Darum ersetzten sie in den 2000er-Jahren die FCKW-Treibmittel durch Apafluran und Norfluran. Dass diese Ersatztreibgase zwar die Ozonschicht schonen, aber das Klima schädigen, war schon damals bekannt. Norfluran (1,1,1,2-Tetrafluorethan, HFKW 134a, HFC 134a) ist ein 1430-mal stärkeres Treibhausgas als CO2 über 100 Jahre betrachtet. Seine generelle Lebensdauer beträgt 14 Jahre. Norfluran ist zurzeit auch das meist verwendete Kühlmittel. Apafluran (1,1,1,2,3,3,3-Heptafluorpropan, HFKW 227, HFC 227ea) heizt das Klima 3320-mal stärker auf als CO2, wied erum über 100 Jahre gerechnet. Es hat eine generelle Lebensdauer von 36 Jahren.
Apafluran und Norfluran gehören zur Gruppe der Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW, HFC). Gemäss dem Kigali-Abkommen von 2016 muss ihre Verwendung in den Industrieländern bis 2035 auf 15% reduziert sein, weltweit bis spätestens 2047.
Verschiedene Pharmafirmen haben zwar weniger klimaschädliche Treibgase angekündigt. Das Deutsche Umweltbundesamt aber erwartete noch 2021 keinen schnellen Ersatz.1
1 Umweltbundesamt UBA (Hrsg. 2021): Persistente Abbauprodukte halogenierter Kälte- und Treibmittel in der Umwelt. www.umweltbundesamt.de/publikationen

Rund 20 000 Tonnen CO2

Etwa 900 000 verschriebene Asthmasprays haben die Schweizer Krankenkassen 2020 vergütet. Das zeigt die AefU-Auswertung einer Datenbank, zu der der Krankenkassenverband Curafutura Zugang gewährte [2]. Durch den Gebrauch dieser Dosieraerosole gelangen jährlich schätzungsweise 9,7 Tonnen des Treibgases Norfluran und ca. 1,5 Tonnen des noch klimawirksameren Apafluran in die Umwelt. Ihre Klimawirkung entspricht rund 20 000 Tonnen CO2. Damit verursachte eine einzige Therapieform 2019 in etwa 0,21% des gesamten Ausstosses an Klimagasen (ohne CO2) bzw. ­ungefähr 0,05% aller fossilen CO2-Emissionen der Schweiz. «Für ein einzelnes Produkt, wie eben Asthmasprays, ist das beträchtlich», sagt Martin Vollmer, Klimaforscher an der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa).
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In Schweden viel weniger Asthmasprays

Die Datenbank-Auswertung der AefU zeigt ausserdem: In der Schweiz behandelten 2019 und 2020 rund 37% der Patientinnen und Patienten ihr Asthma oder ihre chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) mit Dosieraerosolen. Die übrigen taten dies hingegen treibgasfrei, 60% mit Pulverinhalatoren und 3% mit mobilen Verneblern, sogenannten Soft Mist Inhalern (zurzeit nur als Respimat erhältlich).
In Schweden behandeln nur 13% der Patientinnen und Patienten ihre Lungenerkrankung mit den klimaschädlichen Dosieraerosolen. Dieser Anteil beträgt somit bloss einen Drittel von jenem in der Schweiz. 87% der Betroffenen verwenden in Schweden Inhalatoren ohne Treibgas. Grund dafür dürfte sein, dass Schweden die ursprünglich sogar Fluorchlorkohlenwasserstoff-haltigen Treibgase früh verbot, ohne dass ein Ersatzgas vorhanden war. Deshalb entwickelte die dortige Industrie Pulverinhalatoren.

Stellungnahme der Fachgesellschaft: «Die korrekte Anwendung von Asthmasprays ist entscheidend»

Im Artikel wird ein wichtiges Problem, «der CO2-Ausstoss weltweit», thematisiert. Eine korrekte inhalative Therapie ist für Patientinnen und Patienten mit COPD wie auch für solche mit Asthma notwendig. Glücklicherweise gibt es unterdessen sehr viele verschiedene Devices, so dass eine Auswahl möglich ist. Insbesondere bei der Notfalltherapie, welche klassischerweise ein Dosier­aerosol beinhaltet, gibt es nun gute Daten dafür, dass es besser ist, ein Trockenpulver mit einem inhalativen Kombinationspräparat bestehend aus ­einem inhalativen Steroid und einer Formoterol-haltigen Substanz zu verwenden.
Nichtsdestotrotz ist die Handhabung der verschiedenen Devices individuell zu planen und zu schulen. Lange nicht jede Patientin resp. jeder Patient kann mit allen Inhalationsdevices umgehen. Es ist für uns Ärztinnen und Ärzte zwingend notwendig, dass wir die richtige Therapie für die richtige Person auswählen. Nicht alle Inhalatoren sind austauschbar. Nicht alle Inhalatoren sind global verfügbar. Schlussendlich erscheint es doch am «grünsten», wenn der benutzte Inhalator auch richtig eingesetzt wird.
Am letztjährigen europäischen Pneumologie-Kongress wurden in einer Präsentation Daten aus England vorgestellt. Es wurde gezeigt, dass nicht gut kontrolliertes Asthma assoziiert war mit dreifach höherer Emission durch entsprechende Verwendung von Dosieraerosolen. Dabei spielten die Dosieraerosole mit sofort wirksamen Bronchodilatatoren die Hauptrolle und waren hauptverantwortlich für Devices, die einen Treibhausgas-Effekt zeigten.
Nur gut kontrollierte COPD- und Asthmabetroffene haben einerseits eine gute Lebensqualität und verursachen andererseits nicht zusätzliche nicht-gewollte Kosten, z.B. durch das Aufsuchen von Notfallstationen oder ungeplante Arztbesuche. Entsprechend scheint es wichtig, weder unsere Patientinnen und Patienten noch ihre Devices für medizinische Emissionen zu stigmatisieren, welche im Vergleich mit anderen Emissionsquellen einen verschwindend geringen Anteil der Treibhausgase ausmachen.
Prof. Dr. med. Jörg Leuppi und Dr. med. Thomas Sigrist im Namen des Präsidiums der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP)

Klimafreundlichere Rezepte

Analog zu Schweden liessen sich in der Schweiz also rund zwei Drittel der jährlich verschriebenen Dosieraerosole einsparen. Das entspricht in etwa 600 000 Packungen oder schätzungsweise 13 000 Tonnen CO2, die nicht in die Umwelt gelangen. Das ist möglich, wenn Ärztinnen und Ärzte hierzulande bei der Verordnung von Medikamenten für Asthma und COPD den Klimaaspekt berücksich­tigen, die Dosieraerosole mit Treibgas möglichst meiden und stattdessen wenn immer möglich Pulverinhalatoren sowie Soft Mist Inhaler verordnen.
Dieser Umstieg lohnt sich fürs Klima auf jeden Fall. Denn die CO2-Fussabdrücke der Pulverinhalatoren und der Soft Mist Inhaler – also ihre Gesamtemissionen von der Herstellung der Packung über den Gebrauch bis zur Entsorgung – sind viel kleiner als jene der Asthmasprays: Eine Packung Dosieraerosol verursache einen CO2-Abdruck von 19 bis 28 Kilogramm, schrieb das deutsche Arznei-­Telegramm im November 2021. Bei Pulverinhalatoren seien es nur 0,6 bis 0,9 Kilogramm CO2 [3].

Umstellung meist kein Problem

Das Umstellen auf treibgasfreie Inhalation ist für die meisten Personen problemlos möglich. Eine englische Studie kam sogar zum Schluss, dass die Umstellung auf die Pulverinhalatoren zu einer besseren Einstellung der Therapie führt [4].
Die AefU appellieren:
an die Ärztinnen und Ärzte, ihre Verschreibungs­praxis zugunsten klimaverträglicher Inhalationsformen zu ändern;
an die ärztlichen Fachgesellschaften, ihre Richtlinien zugunsten klimaverträglicher Inhalationsformen anzupassen und solche Alternativen von den Pharmaunternehmen zu verlangen;
an die Pharmafirmen, Dosieraerosole mit klimaschädlichen Treibgasen rasch und möglichst ganz durch klimaneutrale Inhalationsformen zu ersetzen.
Zudem fordern die AefU, die CO2-Fussabdrücke von Inhalatoren in die Medikamenten-Fachinformationen für Ärztinnen und Ärzte aufzunehmen.

Aktuelles Angebot in der Schweiz

Bei den Inhalativa wird unterschieden zwischen Basistherapie (Controller) und Bedarfstherapie (Reliever). Als Basismedikation oder Controller werden Medikamente mit verzögertem Wirkungseintritt eingesetzt wie LABA (Long acting beta agonists/lang wirkende Betastimulatoren) und LAMA (Long acting muscarinic antagonists/lang wirkende Anticholinergika). Ein weiteres Basismedikament sind die inhalativen Kortikosteroide (ICS).
Diese verschiedenen Medikamentengruppen existieren auch als Kombinationen. Für die Bedarfstherapie kommen kurz wirkende Medikamente als Reliever zum Einsatz. Sie führen zu einer Entspannung (Relaxation) der Bronchialmuskulatur. Bei der COPD sind dies die SABA (short acting beta agonists/kurz wirkende Betastimulatoren). Beim Asthma gilt aber international seit 2019 die Empfehlung, dass nicht mehr mit einem SABA in Reserve inhaliert wird, sondern mit einer Kombination aus Formoterol und einem ICS (MART-Therapie = Maintenance and Reliever-Therapie). Dafür sind sowohl Symbicort wie Foster zugelassen. Aber natürlich gilt: Falls eine Patientin oder ein Patient über keinen ausreichenden Atemfluss verfügt, zum Beispiel kleine Kinder oder Erwachsene mit schwerster bronchialer Obstruktion, muss eventuell auf Dosieraerosole mit Spacer zurückgegriffen werden. Dies kann auch für ein Notfallmedikament nötig sein bei Menschen mit schwersten Atemnotattacken in der Anamnese.
Tabelle 1: Aktuell in der Schweiz angebotene Inhalativa mit klimaschädlichem Treibgas und ihre Ersatzprodukte.
Dosieraerosol (DA) mit Treibgas, zu vermeiden/ersetzenErsatzprodukte ohne Treibgas des gleichen HerstellersErsatzprodukte ohne Treibgas anderer Hersteller
Alvesco DA andere ICS in Pulverform
Atrovent DAAtrovent Inhalations­lösung 
Axotide DAAxotide Diskus 
Berodual DA in der EU via Respimat
Flutiform DA andere ICS/LABA-Kombination, wie etwa: Relvar Ellipta; Symbicort TH
Foster DA andere ICS/LABA-Kombination, wie etwa: Relvar Ellipta; Symbicort TH
Qvar Autohaler DA andere ICS in Pulverform
Salamol Autohaler DA andere SABA in Pulverform, wie etwa: Ventolin Diskus; Bricanyl TH
Seretide DASeretide Diskus 
Serevent DA Serevent Diskus 
Trimbow DA freie Kombinationen von LABA/LAMA und ICS
Vannair DA andere ICS/LABA-Kombination, wie etwa: Relvar Ellipta; Symbicort TH
Ventolin DAVentolin Diskus / Lösung 
ICS: inhalative Kortikosteroide; LABA: lang wirkende Betastimulatoren; LAMA: lang wirkende Anti­cholinergika; TH: Turbohaler; SABA: kurz wirkende Betastimulatoren.

Tipps für die klinische Praxis ­

Einige Hinweise für die Asthma- und COPD-Therapie:
– Im Zentrum der ärztlichen Bemühungen steht die gute Kontrolle / medikamentöse Einstellung des Asthmas und der COPD. Patientinnen und Patienten sollen entsprechend der geltenden Richtlinien (GINA – Global Initiative for Asthma [5]) eingestellt werden. Die Therapie und Einstellung sind regel­mässig zu überprüfen.
– Es ist bekannt, dass die Inhalationstechnik vieler Betroffener nicht einwandfrei ist. Deshalb braucht es entsprechende Schulung. Sie sollten bei den Arztbesuchen ihre Gerätschaften zur Inhalation mitbringen und deren Anwendung vorführen, damit sich diese allenfalls korrigieren lässt [6]. Schlechte Praxis zu identifizieren und die Versorgung der Betroffenen gemäss den nationalen und internationalen Richt­linien zu gestalten muss oberste Priorität haben.
– Der CO2-Fussabdruck beim Inhalieren ist in den aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaften zu wenig oder gar nicht berücksichtigt. Diesem Aspekt ist mehr Gewicht einzuräumen.
– Wenn immer es klinisch möglich ist, sollten Pulverinhalatoren und/oder Soft Mist Inhaler (mobile Vernebler) verschrieben werden. Viele Firmen bieten neben den Dosieraerosolen auch Anwendungen ohne Treibgase an (s. Tab. 1).
– Bei der Asthmatherapie führt ein Wechsel von einem Dosieraerosol zu einem Pulverinhalator meist nicht zu Problemen bei der Asthmakontrolle. Im Gegenteil, das Therapieresultat nach dem Wechsel auf Pulverinhalatoren war oft sogar besser. Dies zeigt eine aktuelle Studie aus England (Salford Lung Study in Asthma) [4].

Das Wichtigste in Kürze

• Eine Datenbank-Auswertung der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) hat ergeben, dass 2020 etwa 900 000 Asthmasprays von Schweizer Krankenkassen vergütet wurden.
• Durch den Gebrauch dieser Dosieraerosole gelangen jährlich schätzungsweise 9,7 Tonnen des Treibgases Norfluran und ca. 1,5 Tonnen Apafluran in die Umwelt, das entspricht der Klimawirksamkeit von rund 20 000 Tonnen CO2.
• Die AefU empfiehlt, dass Ärztinnen und Ärzte bei der Verordnung von Medikamenten für Asthma und COPD den Klimaaspekt berücksichtigen, die Dosieraerosole mit Treibgas möglichst meiden und stattdessen wenn immer möglich Pulverinhalatoren sowie Soft Mist Inhaler verordnen.
• Die AefU schätzt, dass so rund zwei Drittel der jährlich verschriebenen Dosieraerosole eingespart werden könnten, was ca. 600 000 Packungen entspricht.
bernhard.aufdereggen[at]bluewin.ch
1 Forter M. 1 900 000 Dosieraerosole: Unnötige Treibhausgase in der Asthmatherapie. Oekoskop 1/22 (www.aefu.ch/­OEKOSKOP_22_1).
2 Datenbank Medikamenten-App SL (ASL). Datenaufbereitung: COGE GmbH, Zürich; Datenquelle: Umsatzzahlen Tarifpool: ­SASIS AG, Solothurn. Auswertungen und Bereitstellung: ­Curafutura, Bern.
3 Den mächtigen CO2-Fussabdruck von Dosieraerosolen verkleinern. Arznei-Telegramm 11/21, 19.11.2021.
4 Woodcock A, et al. 2022. Effects of switching from ametered dose inhaler to a dry powder inhaler on climate emissions and asthma control: post-hoc analysis. Thorax. 2022;0:1–6. doi:10.1136/thoraxjnl-2021-218088 acrobat.adobe.com/link/track?uri=urn:aaid:scds:US:fdbecea2-57b9-391c-85b7-bcdefc68c2ce