Stationäre Rehabilitation

Einheitliche Tarifstruktur basiert auf solider Datengrundlage

Weitere Organisationen und Institutionen
Ausgabe
2022/2728
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20863
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(2728):904-906

Affiliations
a MSc, SwissDRG AG, Bern; b MSc, SwissDRG AG, Bern; c PD Dr. med., SwissDRG AG, Bern

Publiziert am 05.07.2022

Seit Langem stand eine einheitliche Vergütungs-Lösung von Leistungen der stationären Rehabilitation auf der Agenda der SwissDRG AG. Seit Anfang 2022 gilt nun die neue nationale Tarifstruktur ST Reha. In Zukunft wird es stetig Anpassungen geben, da der datengetriebene Ansatz der SwissDRG Optimierungen erlaubt.
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Mit der Genehmigung der Tarifstruktur ST Reha durch den Schweizerischen Bundesrat wurde es amtlich: Die Vergütung der Leistungen der stationären Rehabilitation in der Schweiz erfährt einen weitreichenden, allerdings schon lange geplanten Einschnitt. Im Rahmen der Entwicklungsarbeiten konnten durch das gemeinsame Bestreben der Tarifpartner wesentliche, zum Teil historisch gewachsene Hindernisse, die einer schweizweit einheitlichen Tarifstruktur bis dahin im Wege standen, überwunden werden. In vielen Bereichen, beispielsweise den rehabilitationsfremden Leistungen und der Abbildung der «Basisleistungen der Rehabilitation», sind erste Schritte getan, welche die zukünftige Abbildungsgüte von ST Reha erhöhen können. Aber auch neben diesen Bereichen gibt es weitere Aspekte der neuen Tarifstruktur, die eine detaillierte Betrachtung verdienen.

Optimierung der Einführungsversion

Wie bei der Einführungsversion jeder Tarifstruktur ist a priori infrage zu stellen, wie deren Abbildungsgüte einzustufen ist. Diese Frage ist durchaus berechtigt, wobei die Antwort mindestens teilweise in den nachfolgenden Versionen zu suchen ist. Dies hängt mit dem datengetriebenen Entwicklungsansatz zusammen, den die SwissDRG AG seit Jahren konsequent ­verfolgt. Dabei kommt der Qualität der Datenbasis, welche der Tarifstrukturentwicklung zugrunde liegt, eine entscheidende Rolle zu. Entsprechend wird durch die Spitäler diesbezüglich ein grosser Aufwand betrieben, um der SwissDRG AG eine qualitativ hochstehende Datengrundlage zur Verfügung zu ­stellen.

Differenzierte Bewertung

Wenn wir den Blick konkret auf die Bewertung einzelner Rehabilitationskostengruppen (rehabilitation cost groups, RCG) der Einführungsversion richten, kann festgestellt werden, dass der Grad der Differenzierung der Vergütung zwischen einigen Basis-RCG als gering eingestuft werden muss. Als Beispiele können die Basis-RCG TR15 (geriatrische Rehabilitation) und TR16 (muskuloskelettale Rehabilitation) betrachtet werden. Ein Grund für die geringe Differenzierung der Bewertung kann hier sein, dass sich die erbrachten Leistungen in den beiden Bereichen im Durchschnitt nur gering unter­scheiden. Daraus kann ein ähnlicher Ressourcenverbrauch entstehen, was sich in der ähnlichen ­Bewertung der jeweiligen RCG widerspiegelt.
Die Frage, ob diese beiden Basis-RCG überhaupt unterschiedlich bewertet werden sollen, ist entsprechend legitim und Bestandteil von Analysen der SwissDRG AG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die beiden Basis-RCG knapp 50% aller Fälle der Kalkulationsgrundlage der SwissDRG AG (Daten 2020) umfassen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht absehbar, ob und wie sich die ­Datengrundlage in diesem Bereich weiterentwickeln wird und ob sich allenfalls daraus zukünftig eine grös­sere Differenz in der Bewertung dieser Basis-RCG ergeben könnte. Konkret soll vermieden werden, dass eine anteilsmässig sehr grosse Basis-RCG geschaffen wird, die aufgrund von potenziellen Dateneffekten in Zukunft wieder getrennt werden müsste.
Die Weiterentwicklung der neuen Tarifstruktur basiert auf den Daten, die von den ­Spi­tälern zur Verfügung gestellt werden (Arturs Budkevics | Dreamstime.com).
Einen weiteren erwähnenswerten Aspekt stellen die Reha-spezifischen Zusatzentgelte (ZE) dar. Basierend auf der Datengrundlage, welche der ST-Reha-Version 1.0 zugrunde lag, konnten keine Reha-spezifischen ZE etabliert werden. Es ist davon auszugehen, dass mit Hilfe der zukünftigen Detailerhebung und der regulären Daten auf Fallebene die Möglichkeit zur Etablierung von ZE geschaffen werden kann. Gleichzeitig ist dabei immer zu berücksichtigen, dass ST Reha den Charakter einer pauschalierenden Tarifstruktur behält. Es ist insbesondere darauf zu achten, dass die wesentlichen Leistungen der stationären Rehabilitation über die ­Tageskostengewichte respektive über das effektive Kostengewicht abgegolten werden. Die Etablierung von Zusatzentgelten soll nicht dazu führen, dass der RCG-Katalog im Extremfall lediglich die Basis­finanzierung sicherstellt und daneben über den ZE-Katalog eine Art Einzelleistungstarif für wesentliche Leistungen existiert. Eine entsprechende Verwässerung der Tarifstruktur ist in jedem Fall zu vermeiden.

Statistische Limitationen

Basierend auf den Anforderungen der Tarifpartner war und ist es Auftrag der SwissDRG AG, eine Tarifstruktur zu entwickeln, welche die gesamte in der stationären Rehabilitation erbrachte Leistungsvielfalt abbildet und eine entsprechend adäquate Vergütung sicherstellen kann. Dies führt dazu, dass nicht nur die Durchschnittspatientin resp. der Durchschnittspatient über die Tarifstruktur gut abgebildet werden muss, sondern auch «seltene» Patientinnen und Patienten. Als prägnantes Beispiel kann die pädiatrische Rehabilitation dienen, die in der Rehabilitation – statistisch betrachtet – eine Randgruppe darstellt. Im Kalkulationsdatensatz machen die pädiatrischen Fälle lediglich ­einen geringen Anteil aus. Da aber die Bedürfnisse dieser Patientinnen und Patienten besonders ausgeprägt sind, ist es umso wichtiger, eine sachgerechte Ver­gütung sicherzustellen. Allerdings war es mit den ­bestehenden Kalkulationsdaten nicht möglich, eine grössere Differenzierung in der Basis-RCG TR11 zu er­reichen, ohne wesentliche Kalkulationsgrundsätze der SwissDRG AG zu ignorieren.
Insgesamt kann auch in Bezug auf die «statistischen Randbereiche» festgehalten werden, dass im Rahmen der regulären Weiterentwicklung eine differenziertere Abbildung möglich ist. Mit Verweis auf die existierenden Konzepte besteht die Möglichkeit, dass mit der Verwendung mehrerer Datenjahre in Randbereichen eine Erweiterung der Datenbasis erreicht werden kann. Inwiefern hier die Problematik der fallzahlschwachen Gruppen überbrückt werden, kann bleibt allerdings ­abzuwarten. In diesem Sinn ist es das Interesse der SwissDRG AG, den statistischen Randbereichen in Zukunft eine verstärkte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, auch wenn allenfalls gewisse Defizite mittelfristig nicht überbrückt werden können. Hier obliegt es den Tarifpartnern und den Kantonen, diese Umstände in der Tarifverhandlung respektive -genehmigung zu berücksichtigen.

Systembedingte Effekte

Bei der Bewertung einer Tarifstruktur ist es sinnvoll, nicht nur die Tarifstruktur als solche, sondern auch die damit einhergehenden Rahmenbedingungen zu betrachten. Diese spielen selbstverständlich in der ­Anwendung der Tarifstruktur eine grosse Rolle, können aber weitere Bereiche stärker beeinflussen, als dies auf den ersten Blick ersichtlich ist.
Als Beispiel können die «Regeln & Definitionen zur ­Fallabrechnung unter ST Reha» [1] genannt werden. ­Unter Kapitel 1.5 wird die Aufenthaltsdauer der Fälle definiert, die je nach Art des Austritts unterschiedlich ausfallen kann. Im Wesentlichen wird dabei für Fälle mit regulärem Austritt der Austrittstag mitgezählt, wohingegen dieser bei verlegten Fällen nicht zum Aufenthalt hinzugerechnet wird. Aus Sicht der Fallabrechnung macht diese Regelung durchaus Sinn, um den Tag der Verlegung nicht doppelt zu vergüten. Für die Entwicklung der Tarifstruktur und insbesondere die in diesem Zusammenhang ausgewiesenen ­Resultate hat dies allerdings Folgen.
A priori ergibt sich eine systematische Untervergütung der verlegten Fälle und damit der Kurzlieger (Aufenthaltsdauer ca. <10 Tage). Dabei handelt es sich aber, mindestens teilweise, um eine durch die Rahmen­bedingungen künstlich erzeugte Untervergütung. Der Grund dafür ist, dass auf Ebene des Falls die gesamten relevanten Kosten – also auch jene des Tags der Verlegung – in die Kalkulation mit einfliessen. Wird diesen gesamten Kosten nun eine aufgrund der Verwendung der hypothetischen Baserate theoretische Vergütung ohne den Tag der Verlegung gegenübergestellt, erscheint eine Untervergütung des Falls als realistisch. Es ist also nachvollziehbar, dass bei Fällen mit kurzer Verweildauer die Unterdeckung relativ betrachtet gross ausfallen kann.
Es stellt sich die Frage, wie mit diesem Umstand umgegangen werden soll, damit keinem beteiligten Akteur ein systematischer Nachteil entsteht und die durch die Spitäler erbrachten Leistungen adäquat vergütet werden können. Das Entwickeln sinnvoller und akzeptierter Lösungen in diesem Bereich obliegt der SwissDRG AG und den Partnerorganisationen. Auch hier wird die Weiterentwicklung zeigen, welche Lösungswege an­gezeigt sind und breit akzeptiert werden oder ob bewusst einzelne Schwächen in der Tarifstruktur in Kauf genommen werden.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Einführungsversion ST Reha in unterschiedlichen Bereichen Optimierungspotenzial aufweist. In diesem Sinn scheint eine reguläre Weiterentwicklung durch die SwissDRG AG unter Einbezug der Partnerorganisationen mit den bestehenden Konzepten sinnvoll. Gleichzeitig kommt der Datengrundlage eine weiterhin grosse Bedeutung zu, wobei die Spitäler hier die Hauptverantwortung tragen. Nichtsdestotrotz gilt es, bestimmten Bereichen der Rahmenbedingungen ein besonderes Augenmerk zukommen zu lassen und bei Bedarf punktuell Anpassungen vorzunehmen oder allenfalls gewisse systembedingte Unschärfen in Kauf zu nehmen.

Das Wichtigste in Kürze

• Am 1. Januar 2022 wurde die nationale Tarifstruktur ST Reha eingeführt. Federführend bei der Entwicklung der Tarifstruktur für die stationäre Rehabilitation war die SwissDRG AG.
• Die vorliegende Tarifstruktur muss als Einführungsversion verstanden werden, die aufgrund der gelieferten Daten der Spitäler weiter verfeinert werden muss.
• Noch gibt es Unklarheiten beim Grad der Differenzierung der Vergütung zwischen einigen Basis-Rehabilitationskostengruppen. Ebenso konnten bisher keine Reha-spezifischen Zusatzentgelte eingeführt werden.
• Ausserdem muss darauf geachtet werden, dass auch «seltene» Fälle adäquat abgebildet und die systemspezifischen Rahmenbedingungen (zum Beispiel die Fallabrechnung) miteinbezogen werden.
remi.guidon[at]swissdrg.org
1 SwissDRG AG, 2020; «Regeln & Definitionen zur Fallabrechnung unter ST Reha»; https://www.swissdrg.org/application/files/5716/3819/2647/Regeln_und_Definitionen_zur_Fallabrechnung_unter_ST_Reha_final.pdf, Zugriff am 2.2.2022.