Kompetent betreut zum Kontinuum in der ärztlichen Bildung

SIWF
Ausgabe
2022/36
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.20963
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(36):26-28

Affiliations
Journalistin

Publiziert am 06.09.2022

Journée de réflexionAuch 2022 erhielten die Teilnehmenden der Journée de réflexion von SIWF und Collège des Doyens viel Anregung zur Entwicklung der ärztlichen Bildung in der Schweiz. Im Zentrum stand dieses Jahr die Frage, wie sich die Übergänge zwischen Studium und Weiterbildung sowie beim Eintritt in die oberärztliche Tätigkeit besser gestalten lassen.
Nach der coronabedingten Absage der Journée de réflexion 2021 versammelten sich dieses Jahr erneut rund 35 Fachleute aus allen Landesteilen zum intensiven Austausch über die Herausforderungen und Ziele der ärztlichen Bildung. Die Tagung war dem Kontinuum der Aus- und Weiterbildung und der optimalen Betreuung des ärztlichen Nachwuchses gewidmet. Ein grosse Aufgabe, welche die Gastgebenden im Kleinen vorlebten: So begrüssten nicht nur SIWF-Präsidentin Monika Brodmann Maeder sowie Primo Schär, Präsident des Collège des Doyens, die Teilnehmenden; auch Werner Bauer, Past-Präsident des SIWF und bisheriger Organisator des Anlasses, freute sich auf den «Spirit» der Tagung sowie die beiden Gäste aus Island und der Schweizer Gesundheitspolitik, die wie üblich für den «Blick über den Tellerrand» der schweizerischen Medizin hinaus sorgten.

Umdenken ist nötig

«In den nächsten zehn Jahren sollen in der ärztlichen Weiter- und Fortbildung die Entrustable Professional Activities (EPAs) in allen Fachrichtungen Standard sein», formulierte SIWF-Präsidentin Monika Brodmann Maeder in ihrer Einleitung das ehrgeizige Ziel des SIWF zur Einführung der kompetenzbasierten Bildung. [1] Dafür sei ein Umdenken nötig, «das nur möglich ist mit engagierten Weiterbildenden, die an ihren Weiterbildungsstätten Verantwortung dafür übernehmen». Um diesen Kulturwandel zu erreichen, baut das SIWF die gefragten «Teach the teachers»-Kurse stark aus und informiert in der Schweizerischen Ärztezeitung kontinuierlich über Competency-Based Medical Education (CBME).

Bildung für Praxis und Wissenschaft

Primo Schär, Präsident des Collège des Doyens, gab seinerseits einen Überblick über die Themen, welche die Dekane der medizinischen Fakultäten der Schweiz zurzeit beschäftigen. Er zeigte sich zufrieden über die unterschiedlichen Lösungen zur Bewältigung der Pandemie in der Aus- und Weiterbildung und lobte die Fortschritte in der kompetenzbasierten ärztlichen Bildung. Gleichzeitig betonte er, dass in der Lehre neben der Praxisvermittlung auch den wissenschaftlichen Grundlagen ausreichend Platz eingeräumt werden müsse, um den hohen Ansprüchen an die Forschung gerecht zu werden.

Kantonal finanzierte Weiterbildung

Aus dem SIWF vermeldete Geschäftsführer Christoph Hänggeli einen Erfolg: Nach über zehnjähriger Vorbereitung ist die interkantonale Vereinbarung zur Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung in Kraft getreten. Alle Kantone müssen einen Minimalbetrag von 15 000 CHF an die Weiterbildung von Assistenzärztinnen und -ärzten pro Stelle und Jahr bezahlen. Dieser Beitrag muss von den Spitälern für strukturierte Weiterbildung eingesetzt werden. «Wenn die Spitäler die Beiträge immer dann – und nur dann – für alle diejenigen Weiterzubildenden erhalten, die das e-Logbuch wirklich führen, entsteht eine Win-win-Situation», ist Christoph Hänggeli überzeugt. «Das e-Logbuch wird flächendeckend geführt, und den Weiterbildungsstätten steht die maximal mögliche Summe für die strukturierte Weiterbildung zur Verfügung.»

Fachleute planen besser

Dass die Finanzierung der Weiterbildungsstellen durch den neuen kantonalen Beitrag nur eine von mehreren Massnahmen zur langfristigen Sicherstellung der ärztlichen Versorgung ist, zeigte die angeregte Diskussion mit einer politischen Persönlichkeit unter der Leitung von Werner Bauer. Diesmal stand der Arzt und St. Galler Regierungsrat Bruno Damann Red’ und Antwort. Er schätzte vom Publikum angesprochene Ideen wie die Weiterbildung in die Leistungsverträge der Spitäler einzuschliessen oder dass ein Kanton genau nachvollziehen sollte, wohin seine Gesundheitsgelder fliessen, als schwierig umsetzbar ein. Umso deutlicher vertrat er die Ansicht, dass sich die Spitäler selbst finanzieren sollten. Dadurch würden sie freier in ihrem Handeln – etwa, um gemeinsam mit den Fachgesellschaften den Bedarf an Spezialistinnen und Spezialisten zu steuern. Denn das Planen, so die pointierte Aussage des St. Galler Regierungsrats, solle man den Fachleuten überlassen.

Island: Basisdisziplinen im Fokus

Wie die Schweiz kämpfe auch Island gegen den Ärztemangel an, berichtet Runólfur Pálsson, Internist und CEO des National University Hospital of Iceland. Am stärksten davon betroffen sind ebenfalls Grundversorgung und Psychiatrie. Ausser in diesen beiden Fächern sowie in Notfallmedizin und Geriatrie müssen künftige Spezialistinnen und Spezialisten ihre Weiterbildung im Ausland abschliessen – mit dem Risiko, dass sie nicht zurückkehren. Um dem ärztlichen Nachwuchs attraktive Bildungsbedingungen zu schaffen, seien für 15 zentrale Fächer die Curricula des Joint Royal Colleges of Physicians’ Training Board auf das isländische Setting angepasst worden, so Runólfur Pálsson. Die Medical Educators setzten dabei auf die EPA-ähnlichen «Capabilities in Practice» (CiPs) und auf eine enge Begleitung der Trainees: einerseits durch eine oder einen Educational Supervisor über die ganze Weiterbildung sowie durch die Clinical Supervisors an jeder Rotationsstelle.

Vom Bachelor zum Master in Medizin

Im Anschluss an die Referate widmeten sich die Teilnehmenden der Frage, wie sich für die künftigen Ärztinnen und Ärzten der jeweilige Übergang in die nächste Bildungsstufe bzw. Funktion erleichtern liesse. Der Workshop «Vom BMed zum MMed» wurde von Giovanni Pedrazzini geleitet, seines Zeichens Dekan der Università della Svizzera Italiana (USI). Die Arbeitsgruppe beurteilte die unterschiedlichen Strukturen der acht verschiedenen Schweizer Medizin-Bachelors bzw. sieben Masters wohl als Herausforderung punkto Kompatibilität, jedoch noch vielmehr als eine landestypische Bereicherung der ärztlichen Bildung. Das System sei robust und die eigenständigen Curricula gäben dem verschulten Lernen Gegensteuer: Die Studierenden seien fähig, die Lücken zwischen den Anforderungen der unterschiedlichen Lehrorte selbstständig zu füllen. Dennoch stimmten die Fachleute überein, dass diese Diversität intensives Monitoring und fortlaufende Abstimmung zwischen den verschiedenen medizinischen Fakultäten nötig mache. Beide Aufgaben liessen sich auf der gemeinsamen Grundlage für die Studienanforderungen (PROFILES [2]), den Rückmeldungen der Studierenden sowie Programmen zur Curriculumsplanung realisieren. Dabei komme den EPAs als gemeinsamer Nenner der ärztlichen Bildung grosse Bedeutung zu.

Mehr Coaching für Nachwuchskräfte

Stellvertretend für viele Medical Educators wies Nadia Bajwa als Weiterbildungsverantwortliche am Universitätsspital Genf nachdrücklich darauf hin, dass die Studierenden beim Übergang in die Assistenzzeit besser begleitet werden müssen. Es gelte, sie «rascher von der Beobachterrolle ins autonome praktische Arbeiten zu führen». Die von Nadia Bajwa moderierte Arbeitsgruppe regte an, den Studierenden bereits in den Masterjahren eine Medical Advisor zur Seite zu stellen, die Fortschritte und Berufswahlprozess begleite. Ebenso könne ein Clinical Learning Coach die Weiterzubildenden bei allen Rotationen unterstützen und regelmässig den Stand der EPAs beurteilen. «Eine unabhängige, exklusive und kompetente Betreuung ist gerade zu Beginn der Assistenzzeit für alle Beteiligten ein Gewinn», unterstrich MEBEKO-Vizepräsidentin Brigitte Muff, die ein entsprechendes zweijähriges Pilotprojekt begleitet hatte [3]. Ferner warb die Arbeitsgruppe für die Einführung eines zwei- bis dreimonatigen Praktikums im 6. Studienjahr, und zwar in der von den Studierenden angestrebten Disziplin. Dieses Praktikum solle die künftigen Assistenzärztinnen und -ärzte auf die eigenverantwortliche Spitalarbeit im Team vorbereiten und dank einer idealerweise EPA-basierten Evaluation ein verlässliches Bild des Ausbildungsstands ermöglichen.

Start in die oberärztliche Tätigkeit

«Um den Einstieg in die oberärztliche Tätigkeit gut zu meistern braucht es viel mehr als reines Fachwissen», stellte Christine Roten, Oberärztin am Berner Inselspital und Moderatorin der letzten Arbeitsgruppe klar. Als Co-Herausgeberin eines Leitfadens zum Einstieg in oberärztliche Funktionen weiss sie [4]: Frischgebackene Oberärztinnen und -ärzte müssen beim Stellenantritt viel zu oft plötzlich auch alle nicht-fachlichen Fähigkeiten beherrschen, welche die neue Aufgabe mit sich bringt. Neben Führung, Teaching, Klinikmanagement sind dies u. a. auch interprofessionelle Zusammenarbeit, Qualitätssicherung oder Forschung. Darauf seien die jungen Oberärzte und -ärztinnen jedoch meistens nicht vorbereitet und erhielten auch selten ausreichend Unterstützung. Die engagierte Diskussion zeigte das grosse Anliegen, dass die junge Oberärzteschaft bereits während der Weiterbildung für die neue Funktion gerüstet werden müsse. «Es fehlt ein Übergangscurriculum», fasste Christine Roten die Situation zusammen. Dieses müsse namentlich der Entwicklung der Soft Skills viel Aufmerksamkeit schenken, damit die Oberärztinnen und -ärzte den hohen kommunikativen Anforderungen ihrer Arbeit gerecht werden könnten. Ferner erachtete die Arbeitsgruppe auch ein Coaching oder Mentoring zu Beginn der oberärztlichen Tätigkeit als zentral. Diese Begleitung könne wesentlich dazu beitragen, die jungen Oberärztinnen und -ärzte rasch mit ihrer Funktion vertraut zu machen sowie Burn-out und frühzeitige Berufsabgänge zu verhindern.

Die Roadmap steht

Das gemeinsame Reflektieren habe viele Lücken in den Übergängen zwischen Studium, Weiterbildung und oberärztlicher Tätigkeit aufgezeigt, zog Primo Schär die Bilanz des Anlasses. Diese gelte es nun gemeinsam mit den Verantwortlichen der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung zu füllen. Auch für Monika Brodmann Maeder hatte sich die «Journée de réflexion» erneut als produktiver Think Tank erwiesen, der die Grundlage für konkrete und nötige Entwicklungen lege. Für sie liege jetzt eine klare Roadmap zur Verbesserung der ärztlichen Bildung vor, und damit eine vielversprechende Perspektive, schloss die SIWF-Präsidentin. «Dies umso mehr, als dass wir Medical Educators dank der kompetenzbasierten Bildung mittlerweile eine gemeinsame Sprache sprechen.»
1 www.siwf.ch > SIWF-Projekte > Kompetenzbasierte Weiterbildung
2 Principal Relevant Objectives and a Framework for Integrative Learning and Education in Switzerland ; cf. www.profilesmed.ch/sections/introduction (Stand 24.06.2022)
3 Muff B., Neff U. «Braucht es spezielle Weiterbildner in der Chirurgie?»; Bericht über ein Pilotprojekt an der chirurgischen Klinik des Spitals Bülach. In: Schweizerische Ärztezeitung 2011;92:47
4 Perrig M., Roten C. (Hrsg.): «Die oberärztliche Tätigkeit – eine neue Herausforderung»; Hogrefe, 2021.