Mut zum Zickzack-Kurs

Praxistipp
Ausgabe
2022/37
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21003
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(37):72-73

Publiziert am 13.09.2022

KarriereAls Kind wollte Brida von Castelberg Hausärztin werden, stattdessen wurde sie Chefärztin. Wie ihr Berufsweg im Zickzack-Kurs ungeahnte Bahnen einschlug – und was eine Karriere überhaupt ist.
Wenn ich als Kind krank war und der Hausarzt mich zu Hause – wo sonst – untersuchte, so bedeuteten das Stethoskop auf dem Rücken und seine grosse, warme Hand auf meiner dünnen Schulter bereits Heilung, und mein Entschluss, selbst Hausärztin zu werden, stand fest. Obschon wir in der Familie keine Ärzte haben, stand mir dieses Ziel bis zum Wahlstudienjahr immer klar vor Augen. Der Wunsch überdauerte Physik- und Chemiesemester, und in den Fächern Physiologie und Pharmakologie konnte ich sogar einen schwachen Bezug zu meinem romantisch verbrämten Berufsziel erkennen. Zwei Monate Chirurgie im Wahlstudienjahr veränderte, meine Interessen und Pläne komplett, und so stürzte ich mich mit vollem Einsatz in die Chirurgie und schloss dieses Fach mit dem Titel FMH Allgemeine Chirurgie ab. Das Diplom lautete auf Herr Dr. B. von Castelberg.

Berufliche Neuorientierung

Der Zufall, das Glück, das Unglück wollte es, dass die chirurgische Abteilung meines Spitals geschlossen wurde und ich mich neu orientieren musste. Ein chirurgisches, aber in vielerlei Hinsicht frauenfreundliches Fach wie Gynäkologie lag nahe, und so wurde ich mit 40 Jahren zur Chefärztin der Frauenklinik eines Zürcher Stadtspitals gewählt.
Von aussen betrachtet: eine steile Karriere, tatsächlich aber ein Zickzack-Kurs, bei dem das erreichte Ziel etwas war, das ich anfänglich niemals in Betracht gezogen hätte. Der Traum von der eigenen Praxis als Hausärztin, dann die mässig erbauliche Vorstellung einer chirurgischen Praxis mit Frauenmalus – was bedeutet, dass Patientinnen und Patienten lange Zeit eher Männern als Frauen in chirurgischen Fächern vertrauten – hin zur Leitung eines Spitals: Das kann kaum als geradlinige Karriereplanung bezeichnet werden.

Was ist eine Karriere?

Aber was versteht man unter einer Karriere? Der Ausdruck leitet sich ab vom «schnellsten Gang des Pferdes», hat also mit klarer Zielführung und mit Zielerreichung in hohem Tempo zu tun. Es erfordert Selbstbewusstsein, vielleicht ein gewisses Mass an Rücksichtslosigkeit, auch gegen sich selbst, und die Beharrlichkeit, sich nicht vom Weg abbringen zu lassen. Selbstbewusstes Auftreten, hohes Fachwissen und Fähigkeit zu Netzwerken sind ebenfalls hilfreich. Sollte man schon eine eigene Familie haben, ist auch diese gefordert und kommt für eine bestimmte Zeit an zweiter Stelle. Oft sind Karriereziele solche, welche mit hohem sozialem Status oder beachtlichem Verdienst verbunden sind. In der Medizin kann eine bewunderte Karriere eine Forscherlaufbahn oder eine universitäre Laufbahn sein. Und ist das Erreichen des Ziels messbar? Will man viel Macht, eine hohe Anzahl an Betten oder eine grosse Operationskapazität, will man viele junge Forschende fördern und ausbilden, will man vor allem das höchste Einkommen erzielen oder will man kranken Menschen die bestmöglichen Chancen zur Gesundung bieten können?
Der Gedanke, welche Ziele man für sich selber definiert und als unabdingbar betrachtet, sollte am Anfang jeder medizinischen Laufbahn stehen. Welches sind die Werte meiner beruflichen Laufbahn, die ich ein Leben lang verfolgen will und deren stete Verfolgung mich befriedigen wird: eine persönliche und kompetente Patientenbetreuung, die Schaffung eines guten interprofessionellen Arbeitsklimas oder möchte ich eine Tätigkeit, die mir auch Freizeit oder künstlerische Tätigkeit erlaubt? Sind die Ziele und Werte für einen selbst definiert, lohnt es sich, Gelegenheiten zu ergreifen, die unerwartet auf einen zukommen, auch wenn diese mit Unsicherheit verbunden sind, aber das Potenzial zu persönlicher und beruflicher Entwicklung bieten. Es empfiehlt sich auch, sich bei einer Arbeitsstelle, die man innehat, immer wieder zu fragen, ob die eigenen Werte gelebt und vermittelt werden, ob man konzentriert und selbstbewusst der Arbeit nachgehen kann, ob man sich entwickeln kann und nicht in unterfordernde Routine verfällt, die unweigerlich zu schlechter Patientenbetreuung führen muss. Denn dann wäre der Moment gekommen, sich zu verabschieden und sich neu zu orientieren. Mut zum Zickzack-Kurs in der beruflichen Laufbahn kann wohl vom Ziel Hausärztin zur Chefärztin, aber auch vom Ziel Chefarzt zum glücklichen Hausarzt führen.
Brida von Castelberg
Sie war von 1993 bis 2012 Chefärztin der Frauenklinik des Stadtspitals Zürich. An dieser Stelle schreibt sie regelmässig über Karrierefragen.
Illustration: Luca Bartulović; Autorinnenfoto: Andre Roth