«Wir wollten die Studie gar nicht veröffentlichen»

Wissen
Ausgabe
2022/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21013
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(39):78-79

Publiziert am 27.09.2022

COVID-19 Welche Faktoren fördern nosokomiale COVID-19-Fälle im Spital? Eine Analyse des Teams um Medizinstudent Antoine Martin lieferte neue Erkenntnisse – und brachte ihm den Preis der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin für das beste Poster eines Jungforschenden ein, der vom Schweizerischen Ärzteverlag EMH verliehen wird.
Antoine Martin, was hat Sie an der nosokomialen Übertragung von SARS-CoV-2 interessiert?
In der Abteilung für Innere Medizin des Centre hospitalier universitaire vaudois, wo ich neben meinem Studium als Arztsekretär arbeite, stellten wir einen Anstieg der nosokomialen COVID-19-Fälle fest. Angesichts der strengen Schutzmassnahmen war das beunruhigend. Diesen Ansteckungen wollten wir auf den Grund gehen.
Die Studie war ursprünglich also für interne Zwecke gedacht?
Tatsächlich ging es primär darum, eine interne Analyse zur Qualität und Sicherheit der Versorgung von COVID-Patienten in unserem Haus durchzuführen. Dann realisierten wir, dass dies auch für andere Einrichtungen hilfreich und relevant sein könnte.
Warum haben Sie sich auf diese Patientengruppe konzentriert?
Während der verschiedenen COVID-19-Wellen haben die Spitäler auf eine möglichst schnelle und effiziente Feststellung und Isolierung von infizierten Personen gesetzt. Dafür musste ein komplexer Versorgungsalgorithmus für neu Hospitalisierte etabliert werden. Trotz dieser Vorsichtsmassnahmen gab es einen frustrierenden und alarmierenden Anstieg neu auftretender COVID-19-Fälle innerhalb der geschlossenen Bereiche unserer Abteilung.
Wie haben Sie die Quelle dieser nosokomialen Infektionen gefunden?
Wir haben individuelle und behandlungsbezogene Merkmale der nosokomialen Fälle mit einer Kontrollgruppe verglichen, also mit Patienten, die sich in unserer Screening-Abteilung nicht angesteckt hatten. Anschliessend wollten wir wissen, ob die ermittelten Risikofaktoren auf alle nosokomialen Patienten zutrafen. Wir verglichen daher nosokomiale COVID-19-Fälle, die durch die Screening-Zone kamen, mit solchen, die diese Zone nicht passiert hatten.
Was haben Sie herausgefunden?
Hinsichtlich Geschlecht und Alter waren die nosokomialen Patienten ähnlich. Sie wiesen dieselben Komorbiditäten und somit ein vergleichbares Ansteckungsrisiko auf. Dann wollten wir wissen, ob einige von ihnen häufiger Kontakt mit externen Gesundheitsfachpersonen und mit Angehörigen im Rahmen von Besuchen hatten. Das war nicht der Fall. Dann nahmen wir andere, spitalinterne Faktoren unter die Lupe, etwa die Anzahl der Personen pro Zimmer und die Nutzung der Gemeinschaftstoiletten – und wurden fündig.
Können Sie darauf näher eingehen?
Es fiel uns auf, dass die nosokomialen Patienten unserer Screening-Abteilung in Fünf-Bett-Zimmern und nicht in Ein- oder Zwei-Bett-Zimmern untergebracht waren. Sie nutzten auch häufiger die Gemeinschaftstoiletten und nicht die Urinale und Bettpfannen. Das sind zwei kontaktrelevante Faktoren − was offenkundig erscheinen mag, bis anhin jedoch nicht nachgewiesen war.
Warum wurde das nicht früher bemerkt?
Wahrscheinlich ging man davon aus, dass nach der strengen Triage das Infektionsrisiko stratifiziert wäre. Die internationalen Studien, auf die wir uns stützten, konzentrierten sich oft auf den Kontakt mit dem Personal, nicht aber auf die Anzahl der Patienten pro Zimmer oder die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen.
Wurden die Schutzmassnahmen entsprechend angepasst?
Ja. Die maximale Patientenzahl pro Stationszimmer wurde von fünf auf drei reduziert und die Zimmer wurden alle zwei Stunden statt zweimal täglich gereinigt. Mit diesen einfachen Massnahmen konnte die Zahl der nosokomialen Fälle drastisch gesenkt werden. Das untermauerte unsere Ergebnisse.
Dafür war eine umfangreiche Datenrecherche erforderlich.
Das war der wichtigste Teil. Die Extraktion relevanter Daten aus den einzelnen Dossiers war sehr zeitaufwendig. Neben meinen Medizinvorlesungen kostete mich das drei bis vier Wochen.
Wie ging es Ihnen, als Sie erfuhren, dass Sie den Preis gewonnen haben?
Für einen Medizinstudenten ist das eine grosse Anerkennung. Diesem Herzensprojekt habe ich meine Masterarbeit gewidmet. Das gesamte Team hat viel dazu beigetragen. Ich war glücklich, alle meine Co-Autoren und meinen Tutor Professor Sartori durch diesen Preis entschädigen zu können.
Hat Ihnen das die Forschung schmackhaft gemacht?
Schon zuvor war ich an der Forschungstätigkeit interessiert, doch der Preis hat mein Interesse gestärkt. Ich habe mich dazu entschlossen, eine akademische Laufbahn einzuschlagen.
Der Preis ist mit 1000 Franken dotiert. Wie werden Sie diesen Betrag verwenden?
Einen Teil werde ich wohl den mir wichtigen Verbänden spenden, den Rest behalte ich. Für einen Studenten ist das ein Geschenk des Himmels [lacht].

Zur Person

Als Medizinstudent im fünften Jahr an der Universität Lausanne hat Antoine Martin keinen gewöhnlichen Werdegang. Trotz der früh erwachten Leidenschaft für die Medizin lernte er vor dem Studium etwas Praktisches. Nach einer Lehre als kaufmännischer Versicherungsangestellter schaffte er mit der Berufsmaturität den Sprung an die Universität. Neben seinem Studium arbeitet er seit drei Jahren als Arztsekretär an der Abteilung für Innere Medizin des Centre hospitalier universitaire vaudois. Auf diesem Gebiet möchte er sich auch spezialisieren.
Trotz der strengen Triage wurde ein Anstieg der nosokomialen COVID-19-Fälle festgestellt.
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