Revidiertes Gesetz: Berufsgeheimnis wird ausgehebelt

Aktuell
Ausgabe
2022/39
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21086
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(39):32-35

Affiliations
a lic. iur. , Rechtsanwältin, Leiterin Abteilung Rechtsdienst FMH; b Dr. iur., Juristin Abteilung Rechtsdienst FMH

Publiziert am 27.09.2022

NachrichtendienstgesetzDer Bundesrat hat am 18. Mai 2022 die Vernehmlassung für eine Revision des Nachrichtendienstgesetzes (NDG) eröffnet, die bis am 9. September 2022 dauerte. Die aktuelle Vernehmlassung des seit dem 1. September 2017 in Kraft gesetzten Nachrichtendienstgesetzes greift das Berufsgeheimnis an.
Mit den vorgeschlagenen Anpassungen des Nachrichtendienstgesetzes will der Bundesrat auf die seit dessen Inkraftsetzung ab September 2017 gemachten Erfahrungen sowie auf die Entwicklung der Bedrohungslage der letzten Jahre reagieren [1]. Schwerpunkte der Revision des Nachrichtendienstgesetzes sind die Ausweitung der genehmigungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen [2] (GEBM) zur Aufklärung von gewalttätig-extremistischen Aktivitäten, die komplette Neuregelung der Datenhaltung des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) und die Übertragung der Aufgaben der Unabhängigen Kontrollinstanz für die Funk- und Kabelaufklärung (UKI) an die Aufsichtsbehörde über die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten (AB-ND).
Nun konkret zum Angriff auf das Berufsgeheimnis im Rahmen dieser Vernehmlassung. Um was geht es?

Folgenschwerer Eingriff

In der aktuellen Vernehmlassungsvorlage wurde Art. 28 Abs. 2 NDG gestrichen. Die Streichung des Abs. 2 des Art. 28 wurde in der Gesetzesvorlage jedoch nicht gekennzeichnet, sondern lediglich im erläuternden Bericht mit folgenden Worten kommentiert: «Der zweite Absatz des heutigen Artikels 28 wird aufgehoben.»
Nachfolgend die Gegenüberstellung des aktuellen Art. 28 und des Art. 28 des revidierten Nachrichtendienstgesetzes, um nachvollziehen zu können, um welchen folgenschweren Eingriff es sich bei der Streichung des Abs. 2 von Art. 28 NDG auf das Berufsgeheimnis handelt.
Nach geltendem Recht dürfen genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahmen gegenüber einer Drittperson nicht angeordnet werden, wenn diese Drittperson einer der in Art. 171–173 StPO (Strafprozessordnung) genannten Berufsgruppen angehört, das heisst einer Berufsgruppe, die aufgrund eines Berufsgeheimnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Dazu zählen gemäss Strafprozessordnung Geistliche, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Verteidigerinnen und Verteidiger, Notarinnen und Notare, Patentanwältinnen und Patentanwälte, Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Chiropraktorinnen und Chiropraktoren, Apothekerinnen und Apotheker, Psychologinnen und Psychologen sowie ihre Hilfspersonen.
Diese Ausnahme soll nun sozusagen durch die Hintertür abgeschafft werden, womit das Berufsgeheimnis ausgehebelt wird. Die Streichung von Absatz 2 wird im erläuternden Bericht (S. 11 f.) wie folgt begründet:

Die Begründung

«In der Praxis hat sich gezeigt, dass jemand, der zum Kreis von einem Berufsgeheimnis unterstehenden Personen gehört (z.B. auch Hilfspersonen von Ärztinnen und Ärzten), als Privatperson zahlreiche Mobiltelefonabonnemente abschliessen kann und deren Nutzung vollständig an andere Personen übergibt. Die dem Berufsgeheimnis unterstehende Person nutzt diese Anschlüsse nie, womit das Berufsgeheimnis faktisch nicht tangiert ist. Wenn nun vom tatsächlichen Nutzer des Anschlusses eine entsprechend schwere Bedrohung der Sicherheit der Schweiz ausgeht, ist es nicht gerechtfertigt, die Überwachung eines solchen Anschlusses auszuschliessen. Die Triage unter Aufsicht des Bundesverwaltungsgerichts ist auch hier die angemessene Lösung.»
Art. 28 NDG alt:Art. 28 NDG neu:
Art. 28 Anordnung genehmigungspflichtiger Beschaffungsmassnahmen gegenüber DrittpersonenArt. 28 Anordnung gehmigungspflichtiger Beschaffungsmassnahmen gegenüber Drittpersonen
1 Der NDB kann auch gegenüber einer Drittperson eine genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahme anordnen, wenn begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Person, über die Informationen beschafft werden sollen, Räumlichkeiten, Fahrzeuge oder Behältnisse der Drittperson oder deren Postadressen, Fernmeldeanschlüsse, Computersysteme oder Computernetzwerke benutzt, um Informationen zu übermitteln, zu empfangen oder aufzubewahren.

2 Die Massnahme darf nicht angeordnet werden, wenn die Drittperson einer der in den Artikeln 171–173 StPO genannten Berufsgruppen angehört.
Der NDB kann gegenüber einer Drittperson eine genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahme anordnen, wenn begründete Anhaltspunkte vorliegen, dass die Person, über die Daten beschafft werden sollen, Räumlichkeiten, Fahrzeuge oder Behältnisse der Drittperson oder deren Postadressen, Fernmeldeanschlüsse, Computersysteme oder Computernetzwerke benutzt, um Daten von da aus oder dorthin zu übermitteln oder zu empfangen oder dort aufzubewahren.

Abs. 2 gestrichen
Für die FMH gehen diese Ausführungen an der Realität vorbei. Dies hat sie in ihrer Stellungnahme, zu der sie nicht offiziell vom Eidgenössisches Departement für Verteidigung Bevölkerungsschutz und Sport eingeladen wurde, auch klar zum Ausdruck gebracht. Sie dienen lediglich dazu – so die FMH – «das Kind nicht beim Namen nennen zu müssen» und eine Plausibilisierung für die Streichung des Art. 28 Abs. 2 herzuleiten. Die Streichung von Absatz 2 entbehrt jeglicher substantiierter Begründung. Der Wille des Gesetzgebers mit der Streichung des Abs. 2 Art. 28 fokussiert auf «Aushebelung des ärztlichen Berufsgeheimnisses».
Warum kommt es mit der Streichung des Art. 28 Abs. 2 NDG zu «einer Aushebelung des ärztlichen Berufsgeheimnisses»:
Senior Patient Having Consultation With Doctor In Office
Patientinnen und Patienten sollten sich aufs Arztgeheimnis verlassen können.
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Aushebelung des Berufsgeheimnisses

Weil damit das Vertrauen der Patientinnen und Patienten im Kontext mit dem therapeutischen Arzt-Patientenverhältnis beschädigt wird und schwerwiegende Folgen für das Arzt-Patientenverhältnis nach sich zieht.
Das Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB) stellt gemäss Bundesgericht «ein wichtiges Rechtsinstitut des Bundesrechts dar. Es fliesst aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf Privatsphäre (Art. 13 BV, Art. 8 EMRK) und dient dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient» [3].
Das Berufsgeheimnis begründet nach Art. 171 Abs. 1 StPO eine Zeugnisverweigerungspflicht. Ärztinnen und Ärzte sowie ihre Hilfspersonen können das Zeugnis über Geheimnisse verweigern, die ihnen aufgrund ihres Berufes anvertraut worden sind oder die sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben (Art. 171 Abs. 1 StPO). Ausnahmen vom Berufsgeheimnis bedürfen daher einer klaren bundesgesetzlichen Regelung.
Die berufliche Geheimhaltungspflicht ist zentriert auf den Schutz der hochsensiblen Patientendaten. Sie schützt die Persönlichkeit des Patienten, und darauf muss er vertrauen können. Die Patienten haben grundsätzlich allein darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Dritte Zugang zu ihren persönlichen Daten haben sollten. Sofern die Patienten diese Vertrauensbasis zum behandelnden Arzt als gefährdet ansehen, könnte das unmittelbare Auswirkungen auf die Qualität der Behandlung nach sich ziehen, da die Patienten wesentliche Informationen im Rahmen des therapeutischen Verhältnisses nicht mehr mitteilen würden. Patienten begeben sich im Rahmen der Behandlung in einen geschützten Raum, der vom Berufsgeheimnisschutz geprägt ist. Alle Informationen und Erkenntnisse aus der ärztlichen Behandlung erhält die Ärztin aufgrund dieser besonderen Vertrauensbeziehung zum Patienten.
Das ärztliche Berufsgeheimnis ist eine notwendige Voraussetzung für das intakte therapeutische Verhältnis von Arzt und Patient. Nach Art. 321 Ziff. 1 StGB sind nebst allen zugelassenen sowie in Ausbildung begriffenen Ärzten, die sich beruflich mit einem Patienten befassen, auch alle ihre Hilfspersonen zum Schweigen verpflichtet. Hierunter fallen Mitarbeiter des Arztes, die in einer Art und Weise an seiner Berufstätigkeit beteiligt sind, welche die Kenntnis von Tatsachen aus dem Geheimbereich des Patienten vermittelt oder voraussetzt. Dabei muss es sich um eine berufsmässig ausgeübte Funktion handeln. Zu den Hilfspersonen im Sinne von Art. 321 Ziff. 1 StGB gehören also unter anderem Arztgehilfinnen und -sekretärinnen und das gesamte Pflege- und Laborpersonal von Krankenhäusern.

Der Einzelfall zählt

Das Bundesgericht sieht explizit vor, dass eine Einschränkung des Berufsgeheimnisses beziehungsweise der Schweigepflicht voraussetzt, dass in einem konkreten Anwendungsfall aufgezeigt wird, weshalb eine entsprechende Einschränkung notwendig und erforderlich ist. Das Verhältnismässigkeitsprinzip muss im Einzelfall beachtet werden. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat sich eine Meldepflicht auf klar abgegrenzte Situationen zu beschränken, bedingt dass ein übergeordnetes Interesse gegeben ist und dass eine Strafverfolgungsbehörde von einer strafbaren Handlung erfährt [4].
Die Gefahr mit Streichung des Abs. 2 Art. 28 NDG wäre somit gegeben, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten damit zur Makulatur und das Berufsgeheimnis ausgehebelt werden würde. Patienten könnten sich wegen der potenziell bestehenden Möglichkeit des Mithörens ihres Arzt-Patienten-Gesprächs gegen eine Therapie entscheiden, ebenso könnten bei Überwachungen auch Daten anderer unverdächtiger Patientinnen und Patienten offengelegt werden.
The person stands near the padlock and protects him from the red person. concept of the preservation of secrets, information and values. Protection of data and personal information. Hacking attack
Das neue Nachrichtendienstgesetz bedeutet einen Angriff auf das Berufsgeheimnis von Ärztinnen und Ärzten.
© Andrii Yalanskyi / Dreamstime
1 Revision des Nachrichtendienstgesetzes, letzter Zugriff vom 14.7.22: www.vbs.admin.ch/de/sicherheit/nachrichtenbeschaffung/nachrichtendienstgesetz.html
2 Die aktuell bewilligungspflichtigen Beschaffungsmassnahmen sind in Art. 26 NDG aufgezählt. Dazu gehören z.B. der Einsatz von Überwachungsgeräten, um das nicht öffentlich gesprochene Wort abzuhören oder aufzuzeichnen oder um Vorgänge an nicht öffentlichen oder nicht allgemein zugänglichen Orten zu beobachten oder aufzuzeichnen.
3 BGE 1B_435/2021 vom 8.12.21
4 BGE 2C_658/2018 vom 18.03.2021