Auf den Punkt

Wie Suizidprävention gelingt

News
Ausgabe
2022/42
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21159
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(42):8-9

Publiziert am 18.10.2022

PräventionImmer weniger Menschen in der Schweiz sterben durch Suizid. Doch 2020 waren auffällig viele Mädchen unter 20 Jahren betroffen. Wie die Zahlen einzuordnen sind – und wie Ärztinnen und Ärzte mit gefährdeten Jugendlichen umgehen sollten.
Die Anzahl der Suizide in der Schweiz hat 2020 weiter abgenommen: 972 Personen starben 2020 durch Suizid, 696 Männer und 276 Frauen. 70% der Personen waren über 45 Jahre alt, 7 bis 8% der Fälle betrafen junge Männer und Frauen unter 25 Jahren. Damit ist die Suizidrate pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohnern seit dem Höchststand in den 1980er Jahren von 24,9 auf 9,5 zurückgegangen. Das meldete das Bundesamt für Statistik in einer Medienmitteilung [1].
Die von manchen Medien propagierte «Pandemie der Suizide» gab es also nicht. Die Kinder- und Jugendpsychiaterinnen am Universitätsspital Lausanne (CHUV), Prof. Dr. med. Kerstin von Plessen und Dr. med. Carole Kapp sind davon nicht überrascht. In Krisenzeiten gebe es oft weniger Suizide. «Die alarmierende Berichterstattung über das Leiden der Jugendlichen während der Pandemie kann einen Einfluss darauf gehabt haben, wie junge Menschen sich gefühlt haben», sagt Carole Kapp. Andererseits habe das offenere Sprechen über psychische Symptome und Probleme die positive Folge, dass Jugendliche eher Hilfe gesucht haben, so Kerstin von Plessen, Leiterin der universitären Kinder- und Jugendpsychiatrie am CHUV.

Statistik richtig interpretieren

Man wisse nicht, ob die absolute Zahl der Suizidversuche gestiegen sei oder mehr Jugendliche nach einem Suizidversuch in die Klinik gekommen seien. Auffällig sei aber, dass sich die Patientengruppen in der Jugendpsychiatrie verändert haben: Der Anteil der Mädchen, die in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie des CHUV auch wegen suizidaler Ideen behandelt wurden, stieg bedeutend an.
Laut der Statistik sind im Jahr 2020 erstmals 17 junge Mädchen unter 20 Jahren durch Suizid gestorben, so viele wie noch nie zuvor. Diese Zahlen seien noch nicht endgültig ausgewertet, erklärt Carole Kapp, die auch Vizepräsidentin der Groupe Romand Prévention Suicide ist. Es gebe von Jahr zu Jahr grosse Schwankungen bei den Zahlen: So kam es zum Beispiel 2007 zu 15 Suiziden bei jungen Mädchen, 2012 zu drei.
Wie aber können Ärztinnen und Ärzte mit dem Thema umgehen? Es ist bekannt, dass viele Personen, die durch Suizid sterben, in der Zeit davor Kontakt zu einem Arzt oder einer Ärztin hatten. Diese können aktiv zur Suizidprävention beitragen.

Arzt und Ärztin als Gesprächspartner

Die Art und Weise der Begleitung ist dabei für alle Altersgruppen gleich, von Kindern bis zu betagten Personen: Es ist ein sensibles Herantasten zu den Gefühlen, kein blosses Abfragen von Symptomen. Kerstin von Plessen erklärt: «Wir sehen zunehmend ein Fehlen von Verantwortungsbewusstsein: Sobald jemand beim Arzt Andeutungen über suizidale Ideen macht, wird er oder sie zum Spezialisten geschickt. Es ist in diesem Moment aber nicht unbedingt ein Spezialist, der gebraucht wird, sondern ein Mensch, der zuhört und empathisch in diese Situation hineingeht.» Dabei kann das Wort Suizid eindeutig verwendet werden, sagt Carole Kapp: «Es ist eine falsche Idee, dass jemand Suizid begehen könnte, weil ihm gegenüber das Wort Suizid verwendet wird.» Ganz im Gegenteil: Die Patientin verstehe, dass sie mit ihrem Arzt darüber reden kann.
Suizid ist ein so starkes Tabu, dass es selbst Fachpersonen manchmal schwerfällt, damit umzugehen. Deshalb bietet die Groupe Romand Prévention Suicide [2] Weiterbildungen für Fachkräfte an, in denen unter anderem in Rollenspielen gelernt wird, wie ein Gespräch mit einer suizidalen Person geführt werden kann. Es geht dort auch um das Ausräumen von falschen Vorstellungen, sagt Carole Kapp: «Suizid ist keine freie Wahl. Suizid ist im Gegenteil das Fehlen einer Wahl. Es ist die Beendigung eines unerträglichen psychischen oder somatischen Leidens.» Ärzte und Ärztinnen können ihren Patientinnen und Patienten mit Suizidgedanken helfen, sich zu öffnen und nach Alternativen zum Suizid zu suchen. Carole Kapp: «Es ist ähnlich wie bei der Ersten Hilfe: Man kann wenig falsch machen, aber viel richtig.»

Sind Sie in einer Notlage?

Hier finden Sie Hilfe:
Die Dargebotene Hand / Sorgentelefon
Telefon (rund um die Uhr) und SMS: 143
Mail und Chat: www.143.ch
Jugendliche mit Suizidgedanken benötigen ein Gegenüber, das empathisch in die Situation hineingeht.
© Rémi Walle / Unsplash
1 Suizidmethoden, nach Altersgruppen und Geschlecht – 1995-2020 | Tabelle | Bundesamt für Statistik: www.bfs.admin.ch/asset/de/je-d-14.03.04.01.11
2 Groupe Romand Prévention Suicide: preventionsuicide-romandie.ch