Auf den Punkt

«Wir haben immer Angst vor einem schweren Unfall»

News
Ausgabe
2022/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21290
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(48):8-9

Publiziert am 30.11.2022

Sportmedizin Er ist einer der «Nati»-Ärzte: Pierre-Étienne Fournier befindet sich derzeit in Katar für die Fussballweltmeisterschaft. Kurz vor dem Anpfiff der WM beantwortete er unsere Fragen.
Wie fühlt man sich als Arzt der Schweizer Nationalmannschaft vor dem Beginn eines grossen Turniers? Angst oder Aufregung?
Eine Mischung aus beidem. Es gibt einen gewissen Stress, weil es viele administrative Aufgaben zu erledigen gibt: die medizinischen Unterlagen der Spieler auf dem neuesten Stand halten, die Medikamente und die Ausrüstung, die mitzunehmen sind, auflisten, sich über die Situation in Bezug auf COVID-19 informieren. Und das alles neben dem medizinischen Alltag und den Konsultationen.
Pierre-Étienne Fournier und die Nati-Spieler im Herbst 2021 vor dem letzten Qualifikationsspiel in Luzern.
© Samy Ebneter ASF
Wovor fürchten Sie sich bei solchen Ereignissen aus medizinischer Sicht besonders?
Wir haben immer Angst vor einem schweren Unfall. Die medizinischen Teams vor Ort sind da, um uns bei Bedarf zu unterstützen. Die von der FIFA organisierten Proben bereiten uns darauf vor. Glücklicherweise verfügt Katar über renommierte sportmedizinische Zentren, und die FIFA hat eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut.
Was sind Ihre Aufgaben als Nati-Arzt?
Mein Kollege Philippe Tscholl (Anm. d. Red.: der zweite Arzt, der die Mannschaft bei grossen Turnieren betreut) und ich müssen bei den Spielen und Zusammenkünften der Nationalmannschaft anwesend sein. Im Vorfeld eines grossen Turniers fallen viele administrative Aufgaben an. Den Rest des Jahres betreuen wir verletzte Spieler in Zusammenarbeit mit ihren Vereinen.
Wie sieht ein typischer Tag bei einer Weltmeisterschaft für Sie aus?
Es gibt drei Arten von Tagen. An den Tagen zwischen den Spielen, an denen in der Regel nur ein Training stattfindet und der Rest des Tages der Pflege und Erholung gewidmet ist, stehen wir den Spielern und den Physiotherapeuten zur Verfügung. Sie enden mit einer Besprechung des medizinischen Stabs mit dem Physiologen und dem Konditionstrainer. Wir gehen jeden Spieler durch, sprechen über mögliche Probleme und besprechen, ob er trainieren und spielen kann. An Spieltagen werden Behandlungen durchgeführt und die Spieler können sich an uns wenden. Am Tag nach dem Spiel erhalten die Spieler, die im Einsatz waren, eine Erholungsbehandlung, die anderen trainieren. Bei Verletzungen können auch zusätzliche Untersuchungen eingeplant werden.
Was sind die häufigsten Verletzungen? Können sie vermieden werden?
Die häufigsten Verletzungen sind Muskelverletzungen und Verstauchungen des Knöchels. Schwerwiegendere Verletzungen wie Kreuzbandverletzungen oder Gehirnerschütterungen sind zwar selten, können aber vorkommen. Je nach seinen Schwächen und seiner Vorgeschichte hat jeder Spieler ein spezielles Vorbereitungsprogramm.
In Katar herrschen sehr hohe Temperaturen, die Stadien sind ultraklimatisiert. Sind Sie an der körperlichen Vorbereitung der Spieler und an ihrer Akklimatisierung beteiligt?
Bei jedem Turnier werden wir von Markus Tschopp, einem Physiologen, begleitet. Er kümmert sich um die Trainingsvorbereitung, die Trainingsbelastung, die Reintegration verletzter Spieler und die Akklimatisierungsprogramme. Wir besprechen diese Punkte mit ihm.
Sie sind seit 2016 der Arzt der Schweizer Mannschaft. Was waren Ihre schönsten Momente?
Das emotionale Mitgehen mit den Spielern und den Mitarbeitenden ist sehr intensiv. Der Nervenkitzel gehört zum Sport dazu. Während der Spiele muss ich als Arzt immer wissen, wie ich damit umgehen und handlungsfähig bleiben. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Sieg gegen Frankreich im Jahr 2021 und die Qualifikation für diese Weltmeisterschaft.
Sie sind auch Leiter der Abteilung für Sportmedizin an der Clinique romande de réadaptation in Sion: Wie bringen Sie diese beiden Aufgaben unter einen Hut?
Sie sind sehr unterschiedlich. In der Nati wird alles getan, um die Mannschaft so leistungsfähig wie möglich zu machen. Die zur Verfügung stehenden Mittel und die Ressourcen, auf die man manchmal zurückgreifen muss, sind fast unbegrenzt. In der Praxis wiederum muss selten eine Sofortdiagnose gestellt werden, aber die Krankheitsbilder sind vielfältiger. Das Patientenklientel ist anders, aber ich sehe viele aufgeklärte Amateursportler mit hohen Ansprüchen.
Was macht die Rolle als Arzt von Spitzensportlern so besonders?
Man muss das Leistungsstreben der Athleten, das Wissen um ihren Körper, ihr Arbeitsgerät, und die extrem kurzen Wiedereingliederungszeiten miteinander in Einklang bringen. Dabei muss die Gesundheit der Spieler geschützt werden, das ist die grundlegende Aufgabe des Sportmediziners.