Das Digitale Gesundheitssystem: Achtung Baustelle

Leitartikel
Ausgabe
2022/48
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2022.21300
Schweiz Ärzteztg. 2022;103(48):26-27

Publiziert am 30.11.2022

Digitales Gesundheitssystem Es kommt Schwung in die digitale Transformation des Gesundheitssystems. Allerdings bestehen bei der Entwiclung von E-ID, EPD etc. noch etliche Baustellen. Die FMH unterstützt die Prozesse aktiv und erarbeitet derzeit gemeinsam mit pharmaSuisse eine nationale rechtskonforme E-Rezeptlösung.
Was kann ein digitales Gesundheitssystem? Es integriert neue Technologien sinnvoll in den klinischen Alltag. Es vernetzt alle Akteure im Gesundheitswesen effizient, zweckmässig und wirksam. Es nutzt qualitativ hochwertige medizinisch relevante Daten routiniert, um Diagnose- und Behandlungsprozesse zu optimieren und um ein bestmögliches Patienten-Outcome zu gewährleisten. Und es wäre im Idealfall kostensparend. Der Umbau des Gesundheitssystems ist allerdings anspruchsvoll und erscheint in Anbetracht der gewünschten Effekte für manchen Betrachter möglicherweise realitätsfern. Der Bund definiert derzeit Bausteine, auf deren Fundament die Digitalisierung für die Schweiz weiterentwickelt werden soll [1]. Dazu gehören beispielsweise ein nationales Datenmanagement, die Schaffung der dazugehörigen Infrastrukturen, die digitale Befähigung aller Leistungserbringer im Gesundheitswesen und die Vermittlung der digitalen Gesundheitskompetenzen für die Bevölkerung. Wie beim Hausbau wird versucht Baustein für Baustein aufeinanderzusetzen. Allerdings müssen einzelne dieser Bausteine inzwischen bereits wieder revidiert werden, noch bevor die Schlüsselübergabe an die Bevölkerung und die Leistungserbringer erfolgen konnte. Wir würden uns wünschen, wenn bei der Abnahme der Bauten, die Leistungserbringer massgeblich mitbeteiligt wären und bei der anschliessenden Mängelbeseitigung miteinbezogen würden.
Excavating machine on construction site
Noch gleicht das digitale Gesundheitswesen in der Schweiz einer Grossbaustelle. Doch es zeichnen sich erste Konturen ab.
© Unkas1978 / Dreamstime

Baustelle 1: EPDG-Revision

Nur wenige Jahre nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier (EPDG), hat der Bundesrat Massnahmen zur Verbreitung des EPD beschlossen [2]. Bis Mitte 2022 wurden in der Schweiz bisher nur 11‘000 EPDs eröffnet, davon über 80 Prozent in der Westschweiz. Lediglich ein Drittel der Spitäler waren bis zu diesem Zeitpunkt an eine Stammgemeinschaft angeschlossen, trotz der durch das EPDG bereits bestehenden Anschlusspflicht. Bundesseitig begründet wurde die langsame Entwicklung durch die ungenügende Bekanntheit des EPD in der Schweizer Bevölkerung, den aufwendigen Eröffnungsprozess und die ungelöste Finanzierung der elektronischen Identitäten. Diese Mängel sollen nun durch eine umfassende Revision des EPDG, dessen Vernehmlassung nächstes Jahr eröffnet wird, behoben werden. Die Vorlage soll schliesslich 2027 in Kraft treten. Sie sieht klare Regelung der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen sowie der Finanzierung vor. Zudem soll geklärt werden, inwiefern die zukünftige staatliche E-ID für den Zugang zum EPD genutzt werden kann. Um den Nutzen des EPD zu steigern, soll dessen technische Infrastruktur auch für Zusatzdienste zur Verfügung stehen. Zudem sollen Forschende – das Einverständnis der Patientinnen und Patienten vorausgesetzt – Zugriff auf das EPD erhalten. Um die nationale Verbreitung und Anwendung zu optimieren, sollen alle ambulant tätigen Gesundheitsfachpersonen zur Anschlussfähigkeit an ein EPD verpflichtet werden und Patientinnen und Patienten automatisch ein EPD erhalten, ausser sie legen Widerspruch dagegen ein.
Zentral für die FMH: Das EPD muss den Patientinnen und Patienten und den Leistungserbringern nützen. Es darf keinen Mehraufwand verursachen, sondern es muss einen Mehrwert für alle daran Beteiligten bringen.

Baustelle 2: staatliche E-ID

Aktuell werden die elektronischen Identifikationsmittel für den Zugang zum EPD von privaten Organisationen herausgegeben, die nach den Anforderungen des EPDG zertifiziert sein müssen. Das möchte der Bund auf längere Sicht ändern. Er möchte selbst die Identifikationsmittel für den Zugang zum EPD bereitstellen, was den Zugang per Login als auch die Authentifizierung beinhaltet [3]. Hier kommt die staatliche E-ID ins Spiel. Derzeit wird geprüft, wie eine staatliche E-ID als digitaler Identifikationsausweis für den Zugang zum EPD genutzt werden kann. Die E-ID bereitstellende Bundesstelle müsste im Gegensatz zu den privaten Organisationen nicht zertifiziert werden. Folglich würden private Identifikationsmittel langfristig kaum noch angeboten werden.

Baustelle 3: E-Impfausweis und andere

Nach dem Debakel um den elektronischen Impfausweis (E-Impfausweis) von meineimpfungen.ch soll nun eine sichere Ersatzlösung gefunden werden [4]. Da liegt es nahe, den E-Impfausweis in das EPD zu integrieren. Dies, zumal die mit der Ausgestaltung des EPD-Austauschformats betraute Stelle E-Health Suisse dessen technische Umsetzung für grundsätzlich einfach hält. Auch digitale Anwendungen, die die patientenseitige Medikamenteneinnahme unterstützen und verbessern, treffen bei der Ärzteschaft, der Bevölkerung und der Politik auf offene Ohren [5, 6]. Aktuell wird die strukturierte Darstellung eines Medikationsplanes im EPD vorangetrieben. Für die Aktualität des elektronischen Medikationsplans werden allerdings die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sorgen müssen, da er vorläufig gemäss Vorgaben nicht automatisch mit den neuesten Informationen erstellt werden kann [7] wird. Hier besteht sicherlich noch Luft nach oben hin zu einer automatisch aktualisierten E-Medikation im EPD.

Was fehlt zum Bau des Hauses?

Spricht man von der Digitalisierung in der Schweiz, wird das EPD als zentraler Baustein genannt. Das EPD lebt jedoch von Patientinnen und Patienten sowie Gesundheitsfachpersonen, die das EPD pflegen und die relevanten Informationen dazu liefern. Es ist momentan leider zu befürchten, dass die Daten für einige Jahre nicht ohne Zusatzaufwände in das EPD gelangen werden. Wir können nur immer wieder betonen, dass das EPD erst dann eine tragende Wand des sich im Bau befindenden Hauses eines digitalen Gesundheitssystems sein kann, wenn eine sichere und standardisierte Dateninfrastruktur zur Verfügung steht, die sich nahtlos in die elektronische Krankengeschichte integriert. Welche tragenden Wände aber braucht es darüber hinaus? Unverzichtbar ist eine nationale Datenbewirtschaftung, die in der Lage ist, qualitativ hochwertige medizinisch relevante Daten routiniert zu nutzen und zu analysieren. Die Optimierung der Diagnose- und Behandlungsprozesse und ein bestmögliches Patienten-Outcome sind zentrale Aspekte einer optimalen Versorgung. Die vom EDI ins Leben gerufene Fachgruppe Datenmanagement agiert seit Mitte September 2022, um das nationale Datenmanagement zu verbessern, wesentliche Handlungsfelder zu identifizieren und Lösungen aufzuzeigen [9]. Die FMH wiederholt auch hier ihr Mantra, dass wir an einem digitalen Gesundheitssystem bauen müssen, das effektiv Mehrwert bringt und praktikabel ist sowohl für uns Leistungserbringer als auch für Patientinnen und Patienten.
Einen Mehrwert brächte die nationale rechtskonforme E-Rezeptlösung [8], die derzeit gemeinsam von den Verbänden FMH und pharmaSuisse entwickelt wird. Die händische Übertragung der Medikationsdaten entfiele. Damit gehörten unleserliche Rezepte, die zu Rückfragen oder Fehlmedikation führen können, der Vergangenheit an. Das entlastet die Ärztinnen und Ärzte, aber auch die Apothekerinnen und Apotheker von administrativen Tätigkeiten. Selbstverständlich kann das entwickelte E-Rezept auch im EPD bereitgestellt werden. Auf Seite 34 stellen die beiden Verbände Ihnen die E-Rezeptlösung vor.
Alexander Zimmer
Dr. med., Mitglied des Zentralvorstandes und Departementsverantwortlicher Digitalisierung/eHealth
1 Der Ständerat in Kürze. Der Ständerat in Kürze (parlament.ch).
2 BAG. Weiterentwicklung des elektronischen Patientendossiers. Weiterentwicklung elektronisches Patientendossier (admin.ch)
3 EJPD. Bundesgesetz über den elektronischen Identitätsnachweis und andere elektronische Nachweise. Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens.
4 BAG. Das BAG bedauert die Nicht-Rückgabe der Daten der Plattform meineimpfungen.ch. Das BAG bedauert die Nicht-Rückgabe der Daten der Plattform meineimpfungen.ch (admin.ch)
5 Digital Trends Survey 2022. Digital Trends Survey | FMH.
6 EDI. Die gesundheitspolitischen Prioritäten des Bundesrates. Gesundheit2020. 23.01.2013.
7 eHealth Suisse. Austauschformate. Austauschformate - eHealth Suisse (e-health-suisse.ch)
8 FMH und pharmaSuisse schaffen gemeinsames E-Rezept, gemeinsame Medienmitteilung. Bern 05.05.2022. https://www.fmh.ch/files/pdf27/medienmitteilung-fmh-und-pharmasuisse-schaffen-gemeinsames-e-rezept.pdf.
9 BAG. Digitale Transformation im Gesundheitswesen: Fachgruppe Datenmanagement hat ihre Arbeit aufgenommen. Digitale Transformation im Gesundheitswesen: Fachgruppe Datenmanagement hat ihre Arbeit aufgenommen (admin.ch)