Neue Wege im Kampf gegen Alzheimer

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/0102
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21351
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(0102):76-77

Publiziert am 11.01.2023

Forschung Trotz zahlreicher Studien gibt es heute keine Medikamente, um eine Alzheimer-Erkrankung zu stoppen. Die Pharma-Industrie legt grosse Hoffnungen in Impfstoffe. Bereits jetzt können ein gesunder Lebensstil und eine frühzeitige Diagnose mithelfen, das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung zu vermindern.
Wo steht die Alzheimer-Forschung und wohin geht sie? Philip Scheltens ist Professor für kognitive Neurologie an der Universitätsklinik in Amsterdam und wurde 2016 mit dem Europäischen Preis für Alzheimerforschung ausgezeichnet. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Synapsis, die in der Schweiz jährlich rund zehn neue Projekte zur Erforschung von Demenz-Erkrankungen unterstützt. «Wir haben in den letzten dreissig Jahren viele Fortschritte gemacht, um die Veränderungen im Gehirn bei Alzheimer-Patienten zu verstehen. Neues Wissen über die typischen Ablagerungen von Amyloid und Tau wurde gewonnen. Auch wissen wir, dass entzündliche Vorgänge eine Rolle spielen. Aber Demenz ist ein allgemeiner Befund, es gibt unterschiedliche Pathologien, die miteinander in Beziehung stehen. Um zu erkennen, welche Ursachen wie bekämpft werden können, brauchen wir Biomarker zur frühzeitigen Diagnose und müssen die Krankheitsmechanismen noch besser verstehen. Das erforschen die Projekte der Stiftung Synapsis.»
Frühe Diagnosen verhelfen Risikopatienten zu identifizieren.
© Atthapon Raksthaput / Dreamstime
Im Jahr 2020 waren weltweit 121 klinische Studien zur Alzheimer-Krankheit in Arbeit. Von den 97 Studien, die darauf abzielen, die Biologie der Krankheit zu verändern, geht es bei 35% um die Entwicklung von Antikörpern zur Entfernung von Amyloid-Plaques [1]. Diese Bestrebungen hatten jüngst Rückschläge zu verzeichnen. Die Vermarktung des Wirkstoffs Aducanumab wurde 2022, nach anfänglicher Zulassung in den USA, wieder eingestellt [2]. Der klinische Nutzen wurde im Vergleich zu den damit verbundenen Risiken als zu gering eingestuft. Kürzlich teilte Roche mit, dass der Wirkstoff Gantenerumab seine Ziele verfehlte [3] und auch der von AC Immune gemeinsam mit Roche entwickelte Antikörper Crenezumab zeigte nicht die erhoffte Wirkung.
Für Prof. Andrea Pfeifer, CEO und Mitgründerin des Unternehmens AC Immune, spezialisiert auf Präzisionsmedizin für neurodegenerative Erkrankungen, ist daher die Entwicklung einer Impfung vordringlich. Bevor Prof. Andrea Pfeifer AC Immune gründete, war sie Forschungschefin bei Nestlé, davor in der Krebs-Forschung tätig.
Was macht die Demenz-Forschung so schwierig?
«Bei Krebserkrankungen geht es um genetische Mutationen. Bei Alzheimer haben wir es mit Eiweisskörpern zu tun, die sich aus weiterhin unbekannten Gründen verändern, Klumpen bilden und zum Tod von Nervenzellen führen. Das alles passiert im Gehirn, da können wir nicht einfach Proben entnehmen. Bisher müssen wir auf klinische Diagnosen zurückgreifen. Diese sind zum Teil sehr ungenau. Wir stehen heute an einem Scheideweg. Neue, nicht-invasive Methoden zur Frühdiagnostik werden den Unterschied in der Alzheimer-Behandlung machen: Eine frühe und akkurate Diagnose erlaubt es, Risikopatienten 15–20 Jahre vor Ausbruch zu identifizieren und präventiv zu behandeln.»
Und die Rückschläge bei der Entwicklung von Antikörpern?
«Man hat verschiedene Antikörper getestet und weiss jetzt, auch dank negativer Erfahrungen, dass die Neuronen geschützt werden können, wenn die Eiweissverklumpungen früh und spezifisch mit der richtigen Dosis angegriffen werden. Damit kann man, wie neuste Daten des Wirkstoffs Lecanemab zeigen, den Gedächtnisverlust in einem Zeitraum von 18 Monaten um 27% vermindern. Das ist ein Anfang und zeigt, dass diese Plaques ein wichtiges Ziel für die Behandlung bleiben. Aber Alzheimer hat nicht eine einzige Ursache. Eine komplexe Kaskade an Prozessen ist daran beteiligt. Das Amyloid führt im Gehirn zu metabolischen Problemen, Nerven beginnen zu sterben. Dadurch kommt es zu einer Ansammlung eines zweiten Proteins, dem Tau. Entzündungsreaktionen fördern den Prozess der Neurotoxizität. Die Streuung der Proteine, ihre Konzentration und Kombination können von Patient zu Patient unterschiedlich sein.»
Wie sieht die Therapie der Zukunft aus, Frau Prof. Pfeifer?
«Durch einen gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung, viel Bewegung, das Behandeln von kardiovaskulären Krankheiten und Diabetes, sowie ein aktives Sozialleben und Aktivitäten, die das Gehirn auf Trab halten, kann jede Person selbst zur Prävention beitragen. Damit lässt sich, wissenschaftlich nachgewiesen, das Demenzrisiko um 40% reduzieren. Personen mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko müssen durch neue Diagnosemethoden frühzeitig identifiziert werden, noch bevor das Gehirn stark geschädigt ist. Mit einer jährlichen Impfung dieser Personengruppe hoffen wir, den Ausbruch der Krankheit verhindern zu können. Und diesen Impfstoff möchten wir bis 2030 zur Verfügung haben.»
Weltweit sind rund 57 Millionen Menschen von der Demenz betroffen, bis 2050 wird sich diese Zahl fast verdreifachen [4]. In den Swiss Memory Clinics erhalten jährlich ca. 12 000 Patienten die Diagnose Demenz. Professor Andreas Monsch ist Leiter der Memory Clinic Basel. Als jemand, der nah an den Patienten ist, wünscht er sich eine weltweite Harmonisierung in der klinischen Diagnostik. «Wie misst man Hirnleistung, Gedächtnis, Sprachvermögen, soziale Kognition, exekutive Funktionen? Da müssen wir einheitliche Kriterien benennen, um vom Gleichen zu sprechen, wenn wir Demenz-Betroffene als leicht, mittel oder schwer einstufen.»
Andreas Monsch ist froh um die Fortschritte im Bereich der Biomarker. Gegenüber der Amyloid-Hypothese, die von einer ursächlichen Wirkung der Eiweiss-Ablagerungen ausgehen, bleibt er leicht skeptisch. «Es gibt grosse Anstrengungen, Anti-Amyloid und Anti-Tau-Medikamente zu entwickeln und eventuell beide zu kombinieren. Vielleicht liegt die Lösung aber auch anderswo. Es gibt zum Beispiel die neuroenergetische Hypothese, die von einer gestörten Energieversorgung durch beschädigte Mitochondrien ausgeht. Das alles ist hochinteressant und braucht noch viel Forschung.»
Demenz Forschung Schweiz - Stiftung Synapsis unterstützt die Erforschung von Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen an Schweizer Universitäten und Spitälern. www.demenz-forschung.ch
Prof. Andrea Pfeifer
CEO, AC Immune SA, Lausanne
Prof. Dr. phil. Andreas U. Monsch
Leiter Memory Clinic, Universitäre Altersmedizin FELIX PLATTER, Basel
Prof. Dr. Philip Scheltens
Alzheimer Center Amsterdam, Amsterdam
1 Cummings J, Lee G, Ritter A, Sabbagh M, Zhong K. Alzheimer’s disease drug development pipeline: 2020. Alzheimer’sDement. 2020; 6:e12050.
2 Press Release Biogen. 22.04.2022. Update on Regulatory Submission for Aducanumab in the European Union. Biogen. https://investors.biogen.com/news-releases/news-release-details/update-regulatory-submission-aducanumab-european-union-0.
3 Burger L. 15.11.2022. Roche’s Alzheimer’s drug fails to meet goal in long awaited trial. Reuters. https://www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/roche-says-phase-iii-trial-alzheimers-trial-drug-fails-2022-11-14/.
4 Nichols E, et al. Estimation of the global prevalence of dementia in 2019 and forecasted prevalence in 2050: an analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet Public Health. 2022; 7:e105–25.