FMH

Kann man das zulassen?

Hintergrund
Ausgabe
2023/03
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21383
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(03):12-13

Publiziert am 17.01.2024

Höchstzahlen Künftig legen die Kantone fest, wie viele ambulant tätige Ärztinnen und Ärzte es in den verschiedenen Fachgebieten braucht. Welche Folgen die Zulassungssteuerung hat – und ob sich dadurch Kosten senken lassen.
Artikel 55a Absatz 1 KVG: «Die Kantone beschränken in einem oder mehreren medizinischen Fachgebieten oder in bestimmten Regionen die Anzahl der Ärzte und Ärztinnen, die im ambulanten Bereich zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Leistungen erbringen.» Ein Satz, 29 Worte, rund 14 Sekunden Sprechzeit, die viel verändern werden im Schweizer Gesundheitswesen: Seit Mitte 2021 ist der Artikel in Kraft, bis 30. Juni 2023 haben die Kantone noch Zeit, ihn umzusetzen. Die Auswirkungen der Zulassungssteuerung für die Schweizer Ärzteschaft lassen sich nicht in einem Satz zusammenfassen und sie fallen je nach Profil der Person unterschiedlich aus.
Gibt es die Zulassung bald nur noch tröpfchenweise?
© Ryan Kwok / Unsplash
Hier die wichtigsten Folgen der neuen Vorgabe im schnellen Überblick [1]:
Doch nicht alle Ärztinnen und Ärzte, die die Voraussetzungen für eine Zulassung erfüllen, werden sie auch bekommen. Denn die Kantone legen Höchstzahlen fest, die sich an regionalen Versorgungsgraden orientieren. Was bringt solch eine Zulassungssteuerung? Kosten lassen sich damit nicht senken, wie Esther Kraft, Leiterin der Abteilung Daten, Demographie und Qualität der FMH im Interview in der rechten Spalte dieser Doppelseite sagt. Christoph Bosshard, Vizepräsident der FMH und Departementsverantwortlicher Daten, Demographie und Qualität / SAQM, hat seinem Leitartikel zum Thema Zulassungssteuerung in dieser Ausgabe gar den Titel «Gut gemeint ist schlimmer als schlecht» gegeben. Darin erklärt er, weshalb die Berechnungen der Versorgungsgrade auf einer mangelnden Datengrundlage basieren – und macht auf die Folgen für Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten aufmerksam.
Auf den folgenden Seiten lesen Sie, welche Sorgen die neuen Regelungen verschiedenen Ärztinnen und Ärzten sowie der Swiss Medical Students’ Association bereitet.
Esther Kraft, kann die neue Zulassungssteuerung die Kosten im Gesundheitswesen senken?
Nein, die Zulassungsregulierung kann die Kosten nicht senken. Vor dem Hintergrund der Pandemie und der zunehmenden Multimorbidität verwundert es nicht, dass die Nachfrage nach medizinischen Leistungen steigt. Es geht also nicht darum, die Kosten gesamthaft zu senken, sondern darum, das Kostenwachstum mit geeigneten Rahmenbedingungen zu flankieren.
Wie steht die Schweiz bezüglich der Kostenentwicklung im internationalen Vergleich da?
Die Kosten wachsen in allen Industrieländern ähnlich, unabhängig der Gesundheitssysteme und Regulierungen. Jedoch unterscheiden sich die einzelnen Länder in der Qualität, die den Patienten zur Verfügung steht.
Welche Massnahme wäre denn besonders zielführend?
Die Einführung der einheitlichen Finanzierung von stationären und ambulanten Dienstleistungen EFAS. Die Förderung der Ambulantisierung führt zu massiven Kosteneinsparungen, weil ambulante Leistungen fast immer kostengünstiger sind als stationäre. Aktuell geht dies ausschliesslich zu Lasten der Prämienzahlenden, während sich die Kantone finanziell entlasten.
Wo sehen Sie weiteren Reformbedarf?
Des Tarifsystem muss reformiert werden, damit meine ich die Einführung des TARDOC sowie die Entwicklung ambulanter Pauschalen. Das heutige System TARMED ist veraltet und kann seit 2004 nicht mehr weiterentwickelt werden. Darin ist weder die Interprofessionalität noch die Digitalisierung abgebildet, was allein schon reicht, um dessen Dysfunktionalität aufzuzeigen. Auch eine Reform der Prämienverbilligungen ist nötig, damit übermässig belastete Haushalte gezielt von Prämien entlastet werden. In der Schweiz sind das vor allem ältere Menschen sowie Alleinerziehende, deren Prämienlast zu hoch ist.
Esther Kraft
Leiterin der Abteilung Daten, Demographie und Qualität (DDQ) bei der FMH
Was wäre darüber hinaus nötig?
Investitionen in die Qualität der Behandlungen: Je besser in der ärztlichen Behandlung die Indikationsqualität ist sowie die Kompetenz des betroffenen Patienten oder der Patientin, desto kosteneffizienter und optimaler ist der Behandlungspfad. Hier werden auch im Bereich Digitalisierung Investitionen notwendig sein, bevor wir sie zugunsten der Patientensicherheit und Behandlungsqualität nutzen können.
Interview: Eva Mell
1 Eine ausführlichere Auflistung inklusive Informationen zu Ausnahmeregelungen gibt es unter www.fmh.ch/dienstleistungen/recht/zulassungsrecht.cfm. Detaillierte Informationen bietet auch der Beitrag «Neues Zulassungsrecht und Zulassungsbeschränkung» von Gabriela Lang und Iris Herzog-Zwitter: saez.ch/article/doi/saez.2021.20423