Beratungsbedarf in der Gynäkologie auf hohem Niveau

Aktuell
Ausgabe
2023/05
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21487
Schweiz Ärzteztg. 2023;103(05):32-35

Affiliations
a Tarifdelegierter der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe; b Expertin, Abteilung Ambulante Versorgung und Tarife, FMH

Publiziert am 01.02.2023

FMH-Tarifmonitoring Die COVID-19-Pandemie warf für werdende Eltern und Ärzte unbekannte Fragen auf. Der Beratungsbedarf nahm deutlich zu, teilweise mit zusätzlichen diagnostischen Leistungen. Nachdem im ersten Pandemiejahr viele Patientinnen die Routineuntersuchungen verschoben, nahm die Anzahl Patientinnen pro Praxis 2021 zu und liegt aktuell wieder auf dem Niveau von 2019.
Momente der Verunsicherung sind für werdende Eltern nicht ungewöhnlich. Seit dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie kommen dabei neue Fragen hinzu: Was passiert mit dem Fötus bei einer Corona-Infektion der Mutter? Wie wirkt sich die Impfung auf das ungeborene Kind aus, wann soll ich mich impfen lassen? Welche Vorsichtsmassnahmen muss ich treffen?
Bei diesen und vielen weiteren Fragen helfen die Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe ihren Patientinnen. Die Beratungen und Behandlungen im Zusammenhang mit COVID-19 erfolgen zusätzlich zu regulären Schwangerschaftsuntersuchungen.
High angle view of gynaecologist examining pregnant woman at home
Schwangere hatten aufgrund der Pandemie einen erhöhten Beratungsbedarf in gynäkologischen Praxen.
© Wavebreakmedia Ltd / Dreamstime
Dabei nimmt die Arbeit mit und für die Patientin insgesamt etwas mehr Zeit in Anspruch, eine geringe Zunahme von Konsultationen ist vor allem in den Jahren 2020 und 2021 zu beobachten, was vor allem auf die telefonischen Konsultationen zurückzuführen ist. Pandemiebedingte Zusatzuntersuchungen gab es nicht nur in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft: Mit zunehmender Impfrate suchten vermehrt Frauen mit Zyklusstörungen oder Verdacht auf Brustproblemen ihre gynäkologische Praxis auf.
Während bei einigen Patientinnen der Behandlungsbedarf in den letzten beiden Jahren zugenommen hat, nahmen gerade im ersten Pandemiejahr viele Frauen ihre Kontrolluntersuchungen nicht wahr oder erst nach vollständiger Impfung. Die Anzahl der Untersuchungen nahm erwartungsgemäss 2021 zu und steigt auch weiter im aktuellen Jahr.

Beratungsbedarf stieg an

Alle «Sprechleistungen» des Arztes zusammengefasst ist ein deutliches Wachstum im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie erkennbar. Der Rückgang 2020 ist auf die Anzahl Patientinnen zurückzuführen, der Beratungsbedarf pro Patientin stieg bereits 2020 um knapp 3 Prozent.
Abbildung 1: Entwicklung der Gesprächsleistungen pro Praxis, TARMED, KVG, CH, Gynäkologie, Monate 01-08, Jahre 2019-2022, indexiert 2019, Ärzteeigene Datensammlung (Trustcenter)

Zuwachs nicht nur pandemiebedingt

Der gestiegene gynäkologische Behandlungs- und Beratungsbedarf rund um Covid-19 spiegelt sich auch in den Abrechnungsdaten der ambulant tätigen Gynäkologinnen und Gynäkologen wider: die TARMED-Kosten pro Patientin haben seit Pandemiebeginn minim zugenommen. Dieser Zuwachs ist aber nicht ausschliesslich pandemiebedingt:
Abbildung 2: Entwicklung Kosten pro Patientin (Durchschnittsberechnung), KVG, CH, Gynäkologie, Monate 01-08, Jahre 2017-2022, Ärzteeigene Datensammlung (Trustcenter)
Einfluss auf medizinische Behandlungen und die Qualität der Diagnostik haben auch fachspezifische Guidelines, die auf Basis von Forschungsergebnissen aktualisiert werden, wie drei Beispiele aus dem Bereich Gynäkologie zeigen:
Bei einem familiären Mammakarzinom Risiko oder unklaren Brustbefunden, vor allem bei prämenopausalen Frauen, wird die erweiterte Bildgebung durch den Brustultraschall und die Sonographie der Achselhöhlen empfohlen.
Zusätzlich notwendige Untersuchungen mit und ohne Bildgebung im Rahmen von Risiko-Schwangerschaften, welche in den letzten Jahren stetig zunehmen. Beispielsweise Präeklampsie Screening mittels Doppleruntersuchung, Zunahme des Gestationsdiabetes nach oGTT (oraler Glukosetoleranztest) oder Wachstumskontrolle des Kindes.
Seit 2018 wird die Keuchhustenempfehlung bei Schwangeren empfohlen, was ebenfalls Einfluss auf den Beratungsbedarf einer Patientin hat. Es stellen sich ausserdem immer mehr Fragen nach Mutterschutz am Arbeitsplatz, Diskussionen um Arbeitsunfähigkeitszeugnisse, Risikoabklärung am Arbeitsplatz und allfälligem Beschäftigungsverbot.

Mehr telefonische Beratungen

Einige Beratungen wurden vor allem im Jahr 2020 telefonisch durchgeführt. Es wurden in dieser Zeit ausserordentlich viele Telefonate geführt und so konnten viele Fragen beantwortet werden, ohne dass die Patientin die Praxis aufsuchen musste. Telefonische Konsultationen nahmen im 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent zu. Im Folgejahr gab es nur einen leichten Rückgang, im August 2022 gab es 40 Prozent mehr telefonische Konsultationen im Vergleich zu 2019.
Abbildung 3: Entwicklung der Anzahl Sitzungen pro Patientin (Durchschnittsberechnung), Gynäkologie, KVG, CH, Monate 01-08, Jahre 2019-2022, Ärzteeigene Datensammlung (Trustcenter)
Es wird seitens BAG empfohlen, Mail-Anfragen mittels der telefonischen Konsultation zu verrechnen [2]. Da auch der Mailverkehr deutlich zugenommen hat, ist die Zunahme der abgerechneten Tarifpositionen für die telefonische Konsultation auf Telefonate und Mailkontakte zurückzuführen.
Insgesamt hat sich die Anzahl der Konsultationen pro Patientin in den Jahren 2020 und 2021 leicht erhöht.

Besonderheit im Pandemiejahr

Der Blick auf die Anzahl Patientinnen pro Praxis zeigt den Einbruch im ersten Pandemiejahr deutlich und liegt im Herbst wieder auf dem stabilen Niveau vor der Pandemie.
Abbildung 4: Entwicklung der Anzahl Patientinnen in einer Arztpraxis (Durchschnittsberechnung), KVG, CH, Gynäkologie, KVG, CH, Monate 01-08, Jahre 2019-2022, Ärzteeigene Datensammlung (Trustcenter)

Was bleibt?

Die Entwicklungen im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe sind exemplarisch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie: Gespräche, Untersuchungen und Behandlungen, die im Kontext der Pandemie stehen, gehören zwar inzwischen zur medizinischen Routine, die Fragen, welche eine besondere medizinische Beratung erfordern, bleiben aber bestehen, auch wenn die Pandemie an Bedeutung verloren hat.. Die Anzahl der erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit COVID-19 werden «on top» bleiben. Deutlich zeigen dies die TARMED-Kosten pro Patientin, die im Vergleich zu 2019 leicht angestiegen und auf diesem Niveau stabil sind.
In der Betrachtung der Kostenentwicklung muss dieser Anstieg, ausgelöst durch die COVID-19 Pandemie, als externer Faktor betrachtet werden, dem die Ärztinnen und Ärzte mit der notwendigen medizinischen Sorgfalt begegnen.

Ärzteeigene Datensammlung

Die ärzteeigene Datensammlung (aggregierte Daten aus kantonalen Trustcentern) verfügt über Abrechnungsdaten der gesamten Schweiz für praxisambulante Leistungen seit 2004. Der Abdeckungsgrad ist regional unterschiedlich und liegt im Mittel bei 60 Prozent. Die Auswertung der Daten sowie mögliche Interpretationen für den vorliegenden Artikel wurden von der FMH gemeinsam mit den Tarifdelegierten der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vorgenommen.
Die FMH erhält alle Daten aggregiert und vollständig anonymisiert: Daten zu einer einzelnen Arztpraxis oder einer Patientin bzw. einem Patienten können zu keinem Zeitpunkt eingesehen werden und unterstehen dem NAKO-Kodex [2]. Die berechneten Kennzahlen basieren auf Abrechnungsdaten des Arzttarifes TARMED und beziehen sich in der Regel auf den Durchschnitt der gynäkologischen Arztpraxen der gesamten Schweiz. Sofern nicht explizit erwähnt, sind die Kennzahlen nicht hochgerechnet.

FMH-Tarifmonitoring – Schwerpunktserie

Im Rahmen einer Schwerpunktserie stellt die FMH gemeinsam mit verschiedenen Fachgesellschaften Abrechnungszahlen in den Kontext von Entwicklungen im medizinischen Alltag, Patientenbedürfnissen oder Veränderungen in Behandlung und Diagnostik.