Fachkräfte als Objekt der Begierde

Hintergrund
Ausgabe
2023/11
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21515
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(11):10-13

Publiziert am 15.03.2023

Personalmangel Alle wollen sie, die Fachkräfte im Gesundheitsbereich. Doch was kann man überhaupt noch tun, um geeignetes Personal zu finden? Wir haben die Spitäler nach ihren Strategien gefragt.
Ärztinnen und Ärzte spüren es jeden Tag: Auf allen Hierarchiestufen fehlt es an helfenden Händen. Doch vakante Stellen zu besetzen ist schwierig – nicht nur in Randregionen. Schweizer Spitäler werden deshalb kreativ. Die einen bemühen sich um einen guten Draht zu den Medizinstudierenden, die anderen nutzen Personalvermittlungsagenturen. Das Ziel ist bei allen dasselbe: In einem nahezu ausgetrockneten Markt passende Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Gerne wird dafür auch über die Landesgrenze hinaus geschaut.
Die Lichtquelle als Insektenmagnet: Um Fachkräfte erfolgreich zu rekrutieren, braucht es Strategien, die anziehend auf sie wirken.
© Slava Taukachou / Unsplash

Ein ruhmloser erster Platz

Gemäss dem Fachkräftemangel-Index der Adecco Gruppe Schweiz führen die Gesundheitsberufe das Fachkräftemangel-Ranking an. Ein Problem, das sich seit der Pandemie noch zugespitzt hat, wie Corinne Scheiber, Leiterin von Adecco Medical, bestätigt. Ein Grund für den verschärften Fachkräftemangel bei den Gesundheitsfachkräften liege darin, dass in der Schweiz zu wenig spezialisiertes Gesundheitspersonal ausgebildet werde, um die Nachfrage zu decken. «Um diese Lücke zu schliessen, wird ein beträchtlicher Teil des Gesundheitspersonals im Ausland rekrutiert», wird Scheiber in einer Medienmitteilung zitiert [1].
Gemäss der FMH-Ärztestatistik betrug im Jahr 2019 der Anteil an berufstätigen Medizinerinnen und Medizinern aus dem Ausland 36,3 Prozent [2]. Weil andere Länder ebenfalls einen zunehmenden Fachkräftemangel verzeichnen, ist der Wettbewerb umso intensiver.

Die Leute auf allen Kanälen ansprechen

Aus dem Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage entwickle sich ein «Kampf» um die besten Ärztinnen und Ärzte, beschreibt es René Barmettler, Mandatsleiter der Jörg Lienert AG für Personalberatung auf Anfrage. Die Suchaufträge haben für den Berater in der Medizin sowie in der Psychiatrie zugenommen: «Es ist ein hart umkämpfter Markt um die besten Spezialistinnen und Spezialisten, bei dem viel über Direktkontakte im In- und Ausland läuft. Somit ist die Suche zusätzlich stark international ausgerichtet.» Hierbei sei die Sprache nach wie vor ein wichtiges Kriterium, besonders aufgrund des Kontakts mit Patientinnen und Patienten, aber auch, um eine gute Unternehmenskultur zu fördern. Was die potenziellen Arbeitskräfte an der Schweiz reizt? Die Lebensqualität. Diese sei nach wie vor ein wichtiger Umzugsgrund für ausländische Bewerbende.
Die Rekrutierungsstrategien haben sich dabei stark gewandelt, sagt Barmettler: Habe früher eine öffentliche Ausschreibung in verschiedenen Medien gereicht, sei inzwischen das sogenannte «Active and Direct Search» dazugekommen und gerade bei ärztlichen Führungspersonen nicht wegzudenken. «Aktuell verbinden wir die crossmediale, öffentliche Ausschreibung sowie Active Sourcing – das Nutzen der eigenen Quellen, Medien und Netzwerke – mit der klassischen Direktansprache. Zentral ist hierbei ein sehr aktives Vorgehen über die Landesgrenze hinaus.»

Als kleines Spital die Suche professionalisieren

Im Spitalzentrum Oberwallis in Brig sind aktuell von 96 Kaderarztstellen 90 besetzt. Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten ist demzufolge einigermassen überschaubar und auch die Fluktuation sehr klein. Doch die Situation droht sich auch im Wallis zu verschärfen, wie Dr. Reinhard Zenhäusern, Ärztlicher Direktor, angibt. «In den nächsten zwei bis drei Jahren sind zahlreiche altersbedingte Abgänge zu erwarten. Als Spitalzentrum in einer Randregion der Schweiz ist für uns die Rekrutierung von Ärztinnen und Ärzten sowohl auf Niveau Kader wie bei den Assistenten eine prioritäre und permanente Herausforderung.»
Der Personalbedarf habe zugenommen, einerseits bedingt durch zunehmende Fallzahlen, andererseits sogar bei stabiler Arbeitsbelastung bedingt durch neue Arbeitszeitmodelle wie Teilzeit, zunehmende Spezialisierung auch innerhalb einzelner Fachdisziplinen oder durch den vermehrten administrativen Aufwand. Rekrutierungsschwierigkeiten beziehungsweise einen Fachkräftemangel konstatiere man insbesondere in den Bereichen Psychiatrie, Gynäkologie, Radiologie und Gastroenterologie.
Entsprechend sei der Rekrutierungsprozess für Fachpersonal professionalisiert worden. «Die HR-Abteilungen unterstützen die Chefärzte und Chefärztinnen bei der Personalsuche. Bei Kaderpersonal ist auch die Geschäftsleitung involviert», sagt Zenhäusern. Bei der Suche nach geeigneten Ärztinnen und Ärzten müssen sich Spitäler als attraktive Arbeitgeber präsentieren und wo immer möglich von der Konkurrenz abheben. «Neben den üblichen vertraglichen Bedingungen werden zusätzliche Angebote wie flexible Arbeitszeitmodelle, die Wohnungssituation, familienfreundliche Umgebung, Schulen, Kinderbetreuung, Freizeitmöglichkeiten, behördliche Unterstützung in einer Gesamtberatung angeboten», erklärt Zenhäusern.
Bei der Rekrutierung von Personal werden bei Bedarf auch Personalvermittlerinnen und -vermittler hinzugezogen, welche sich bei Ausschreibungen in der Regel aktiv melden. Zudem werden bei der Ausschreibung der Stellen immer neuere Formen angewendet. «Wir nutzen neben den Fachzeitschriften auch Plattformen wie LinkedIn sowie mehrere spezialisierte Online-Jobportale für Ärztinnen und Ärzte. Aktuell prüfen wir zudem die Nutzung von Arbeitgeberbewertungsportalen wie Kununu oder Glassdoor», so Zenhäusern. Für jüngere Ärztinnen und Ärzte sei weiterhin das PJ-Ranking sehr wichtig, um als Unterassistentinnen und -assistenten oder als Assistenzärtinnen und -ärzte ein Spital auszuwählen.
Natürlich sei man auch bestrebt, Leute bereits in der Ausbildung für sich zu gewinnen. «Neu bieten wir an Universitäten zusätzliche kleinere Jobs in der Administration an, damit Studierende stundenweise im Spital mitarbeiten und Erfahrungen sammeln können. Wir rekrutieren zahlreiche Assistierende aus dem Pool der Unterassistenten und Praktikantinnen», sagt Zenhäusern. Bei Eignung würden Angebote gemacht. Eine aktive Präsenz oder Werbung an Universitäten bestehe jedoch nicht.

Künstliche Intelligenz statt Headhunter

Eine Überlegung, welche im Universitätsspital Zürich praktisch nicht angestellt wird, was in der Natur der Sache liegt. «Wir sind in der privilegierten Lage, dass Medizinstudierende der Universität Zürich bereits während des Studiums mit dem Universitätsspital in Kontakt kommen, was viele darin bestärkt, sich nach dem Studium auch hier zu bewerben. Entsprechend haben wir keine spezifischen Rekrutierungsmassnahmen für Medizinstudierende», sagt Manuela Britschgi, Kommunikationsbeauftragte des Universitätsspitals Zürich. Das Universitätsspital habe eine breit abgestützte Rekrutierungsstrategie in enger Zusammenarbeit mit dem Employer Branding. Der Fokus liege neben der klassischen Stellenausschreibung bei Social Media und Active Sourcing.
Hier würden zielgruppenspezifische Kanäle wie Stellenplattformen, LinkedIn, Instagram und Facebook verwendet, so Britschgi. Die Entwicklung habe sich von Print-Ausschreibungen entfernt und hin zu gesamtheitlichen, digitalen und vernetzten Stellenbesetzungsstrategien orientiert. Diese würden durch Artificial-Intelligence-Analysen unterstützt.
Bei der Einstellung von Fachkräften greifen innerhalb der Institution verschiedene Mechanismen, wie Britschgi beschreibt: «Klinikdirektorinnen haben in der Regel auch einen Lehrstuhl an der Universität. Sie werden in einem Berufungsverfahren gemeinsam durch Universitätsspital und Universität rekrutiert. Hier liegt der Lead seitens Universitätsspital bei der Spitaldirektion.» Bei allen anderen Stellenbesetzungen liege die Verantwortung direkt bei der Personalabteilung in Zusammenarbeit mit künftigen Vorgesetzten.
Worauf man beim Universitätsspital Zürich indes weniger setzt, sind Personalvermittlerinnen und -vermittler, wie Britschgi ausführt. «Diese spielen beim Rekrutieren von Ärztinnen und Ärzten eine untergeordnete Rolle.» Personalberater oder Headhunter würden allerdings je nach Position in vereinzelten Fällen hinzugezogen.

Fachkräfte zum Bleiben motivieren

Auch das Freiburger Spital setzt weniger auf die Erfahrung von Personalvermittelnden, wie Michaela Bubach, Direktorin Personal, mitteilt: «Unsere Versuche, mittels Personalberater oder Headhunter Fachkräfte einzustellen, führten zu nichts. Insbesondere die Verpflichtungen von Ärzten und Ärztinnen oder Chief oder Executive oder Director sind nicht wirklich gelungen.»
Fruchtbarer ist für das Freiburger Spital die Zusammenarbeit mit der Universität Freiburg, wie Bubach ausführt. Insbesondere im Master of Medicine pflege das Spital aktiv eine direkte Verbindung zu den Studierenden. Das Ziel dabei ist, diese jungen Fachkräfte im Kanton Freiburg zu halten. Weiter ist das Freiburger Spital seit einigen Jahren auf der «MediFuture», dem jährlichen Laufbahnkongress für Medizinstudierende, präsent, um sich den Studierenden und jungen Ärztinnen und Ärzten vorzustellen.
Bei der Anstellung von Fachpersonen arbeiten die Abteilungen innerhalb des Spitals eng zusammen. «Hier erfolgt die Rekrutierung von Oberärzten gemeinsam mit der medizinischen Abteilung und der Personalabteilung. Diese Arbeitsweise hat sich als sehr effektiv und relevant für die Aufrechterhaltung der Qualität unserer Dienstleistungen erwiesen, indem eine klare Ausrichtung auf die fachlichen und persönlichen Fähigkeiten der Kandidaten besteht», erklärt Bubach.
Das Problem des Fachkräftemangels ist in Freiburg je nach Abteilung geringer oder grösser. Es sind aber noch zusätzlich Hürden zu nehmen, wie Bubach betont: «Das Problem hängt von der angestrebten medizinischen Spezialisierung ab. Grosse Schwierigkeiten haben wir bei der Rekrutierung von Fachärzten für Geriatrie, Rehabilitation, Diabetologie. Und es ist für uns eine zusätzliche Herausforderung, Ärztinnen und Ärzte mit guten Deutschkenntnissen für unsere zweisprachigen Standorte zu finden.»
Die Rekrutierungsstrategie konzentriere sich zunehmend auch auf das Ausland. Hier liege das Augenmerk insbesondere auf Frankreich und Deutschland und an dritter Stelle auf Italien. «Wir versuchen jedoch auch, unsere eigenen Fachkräfte in Bereichen, in denen es einen Mangel gibt, auszubilden und sie danach auch zu behalten.» Eine sinnvolle Strategie, die aber nur aufgeht, wenn es genügend Kandidatinnen und Kandidaten gibt. Und solange das nicht der Fall ist, geht die Rekrutierungsspirale wieder von vorne los.