Die Macht der Sprache

Zu guter Letzt
Ausgabe
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21627
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(1415):82

Publiziert am 05.04.2023

Worte beeinflussen unser Denken und unser Denken beeinflusst unser Handeln. Die Bedeutung von Sprache geht weit über das reine Austauschen von Informationen hinaus. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns bewusst sind, wie wir Sprache nutzen. Worte haben Macht und können sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Das gilt generell, aber besonders auch in einer professionellen Umgebung wie der Medizin. Das Wort Assistenten möchte ich deshalb in der Medizin gänzlich ersetzen. Warum?
Wir alle wissen, dass ein Medizinstudium ein hohes Mass an Motivation, Engagement und Durchhaltevermögen braucht. Zulassungsbeschränkungen, Eignungstests, dann sechs Jahre Studium mit grossem theoretischem und praktischem Lernumfang und schwierigen Prüfungen. Stolz dürfen alle sein, die am Ende ein Diplom erhalten, auf dem «Ärztin» oder «Arzt» steht. Kurz nach dem Staatsexamen jedoch erfahren die frischgebackenen Ärztinnen und Ärzte eine Abwertung ihrer Rolle. Erneut werden sie Assistenten genannt, nennen sich selbst so und werden selbst in offiziellen Dokumenten so bezeichnet. Erst als Oberärztin oder Oberarzt – also nach etlichen weiteren Jahren – werden sie vom Fluch der Abwertung befreit.
Nicole Ritz
PD Dr. med et PhD
Chefärztin Pädiatrie und pädiatrische Infektiologie, Kinderspital Luzern und Universität Luzern
Dem können wir leicht Abhilfe schaffen, in dem wir das Wort Assistenten, das oft eine abwertende oder untergeordnete Rolle vermittelt, konsequent ersetzen. Durch die Verwendung der Bezeichnung Assistenzärztin und Assistenzarzt zeigen wir Wertschätzung und Respekt für die Position und die Fähigkeiten der Person, unabhängig von der Zeit seit dem Staatsexamen oder dem Alter. Diese vier bis sechs Buchstaben sollten es uns allen Wert sein.
Wie seltsam unsere Wortwahl ist, können wir an folgendem Beispiel sehen: Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Krankenhaus und fragen nach der betreuenden Ärztin oder dem betreuenden Arzt. Die Person am Empfang antwortet: «Oh, Sie meinen den Assistenten? Ich rufe ihn gleich.» Sofort fragen Sie sich, wer der Assistent sein könnte: Der Radiologiefachmann, der medizinische Praxisassistent, das Sekretariat oder doch der Arzt? Wenn jemand also nach einem Assistenten ruft, ist es unklar, ob er oder sie eine Ärztin oder einen Arzt meint, eine andere medizinische Fachperson oder eine Person, die in einem anderen Bereich tätig ist. Durch die Verwendung von Assistenzärztin oder Assistenzarzt wird jedoch sofort klar, um wen es sich handelt.
Der sorgfältige und korrekte Umgang mit Sprache ist mir als Chefärztin sehr wichtig, denn er schafft eine Kultur, die von Respekt und Achtung geprägt ist. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass es nicht immer einfach ist, alte Gewohnheiten zu ändern. Im vergangenen Jahr habe ich festgestellt, dass wir als Team regelmässig in alte Muster zurückgefallen sind und von Assistenten und Unterassistenten sprachen. Ich bin der Meinung, dass ein guter Weg, alte Gewohnheiten zu ändern, darin besteht, sie mit Humor abzulegen. Wir sollten uns deshalb nicht scheuen, über unsere Rückfälle zu schmunzeln, uns selbst zu korrigieren und andere zu ermutigen, korrekte Bezeichnungen zu verwenden. Denn durch die Verwendung von Assistenzärztin oder Assistenzarzt anstelle von Assistenten benutzen wir eine unmissverständliche Sprache und können gleichzeitig sicherstellen, dass jede und jeder gleichermassen respektiert und wertgeschätzt wird. Dasselbe gilt auch für die Unterassistenten oder «UHUs»: Medizinstudierende klingt doch viel besser, oder?