Die Closed-Loop-Insulintherapie

Schwerpunkt
Ausgabe
2023/1415
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21642
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(1415):70-72

Besprochener Wirkstoff

Publiziert am 05.04.2023

Diabetes Das Blutzuckermanagement im Spital ist anspruchsvoll und zeitintensiv. Der gezielte Einsatz von neuen Technologien wie kontinuierliches Glukosemonitoring und Closed-Loop-Insulintherapien können eine sichere und effektive Diabetesbehandlung im Spital unterstützen.
Die Diabetesprävalenz ist bei hospitalisierten Personen mindestens dreimal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Von den über 65 Jährigen sind mehr als ein Drittel betroffen.
Eine Hyperglykämie bei stationären Patientinnen und Patienten, mit oder ohne vorbestehendem Diabetes, ist mit einem erheblichen Anstieg von Morbidität, Mortalität und Gesundheitskosten verbunden [1]. Begünstigt werden Hyperglykämien durch Krankheits- oder Verletzungs-assoziierte Stoffwechselprozesse (z. B. Insulinresistenz durch Entzündung), medizinische Interventionen (z. B. künstliche Ernährung oder Einsatz von Steroiden) und Änderungen im Aktivitätsverhalten.
Dementsprechend sind adäquate Diabetestherapien im Spital notwendig, um eine optimale Blutzuckereinstellung zu erreichen und damit Komplikationen zu vermeiden. Die Diabetestherapie der Wahl bei akut kranken Personen ist Insulin, da hiermit der Blutzucker am effektivsten gesenkt und gesteuert werden kann und keine Probleme mit Arzneimittel-Wechselwirkungen oder eingeschränkten Organfunktionen entstehen. Eine erfolgreiche Umsetzung einer Insulintherapie ist allerdings anspruchsvoll, da schnelle Änderungen im Insulinbedarf ein engmaschiges Blutzucker-Monitoring und tägliche Dosis-Anpassungen erfordern. Zusätzlich ist eine Guideline-konforme Behandlung zeitintensiv (bis zu zwei Stunden pro Tag pro Patient bei intravenöser Insulintherapie) [2], was bei aktuell besorgniserregenden Personalengpässen eine grosse Herausforderung darstellt. So steigt das Risiko für Hypoglykämien wenn eine engmaschige Blutzuckerüberwachung nicht möglich ist, was ungünstige Patienten-Outcomes und höhere Gesundheitskosten zur Folge hat.

Automatisierung der Blutzuckermessung

Eine technische Neuerung, die das Diabetes-Selbstmanagement in den letzten Jahren erheblich vereinfacht hat, ist das kontinuierliche Glukosemonitoring (auch CGM genannt). Die CGM-Technologie ermöglicht mit einem Sensor und einem kleinen Sender, der auf die Haut geklebt wird, den Glukosewert im Unterhautfettgewebe kontinuierlich zu messen. Neben der ständigen Verfügbarkeit eines Messwertes ermöglichen Trendabgaben und Alarme den Vorteil von frühzeitig präventiven oder korrektiven Handlungen. Aktuell sind CGM-Geräte noch nicht für die stationäre Anwendung zugelassen. Während der Covid-19-Pandemie wurden CGM-Systeme jedoch breit eingesetzt, um nicht nur den Personalaufwand reduzieren konnte, sondern auch Expositionsrisiken des Personals zu minimieren. Obwohl die Glukose nicht direkt im Blut sondern im Unterhautfettgewebe gemessen wird, zeigten mehrere Genauigkeitsstudien von CGM-Anwendungen im Krankenhaus eine zufriedenstellende Übereinstimmung mit kapillären Blutzuckerwerten [3, 4]. Eine mindestens einmal tägliche Überprüfung der Übereinstimmung (Toleranz von +/- 20%) wird aber für eine sichere Anwendung empfohlen. Betreffend Wirksamkeit des Einsatzes von CGM-Systemen konnte ein Vorteil in Bezug auf die Detektion von Hypoglykämien nachgewiesen werden. Eine Reduktion der Hyperglykämien konnte durch die reine Automatisierung des Blutzuckermonitorings bis jetzt nicht belegt werden. Eine mögliche Erklärung ist das Fehlen der notwendigen Expertise für adäquate Therapieanpassungen.
Komponenten einer Closed-Loop-Insulintherapie: Kontinuierlicher Glukosesensor, Insulinpumpe und Kontrollalgorithmus zur Glukose-gesteuerten Insulin-Dosisanpassung.

Automatisierung der Blutzuckermessung & Insulindosierung

Bei Anbindung der kontinuierlichen Glukosemessung an einen Kontrollalgorithmus, welcher die Insulinabgabe über eine Pumpe reguliert, spricht man von einer sogenannten Closed-Loop-Insulintherapie. Dabei wird die Insulinabgabe reduziert, wenn die Gefahr eines zu niedrigen Glukosewerts besteht – bei einem hohen Glukosewert wird mehr Insulin verabreicht. Bei einem voll-automatischen Closed-Loop-System erfolgt die Insulindosisanpassung alle 8 bis 12 Minuten rein Glukose-gesteuert, ohne dass weitere Handlungen durch das Pflegepersonal erforderlich sind. In mehreren randomisierten kontrollierten Studien wurde die Wirksamkeit eines bisher kommerziell nicht erhältlichen, voll-automatisierten (allerdings seit 2020 CE-zertifiziert) Closed-Loop-Systems untersucht – dabei kamen herkömmliche Therapien (gemäss lokalen Leitlinien) während des Spitalaufenthalts zum Einsatz. Diese Studienpopulationen bestanden aus nicht kritisch kranken, medizinischen und chirurgischen Patientinnen und Patienten. Die Closed-Loop-Therapie führte zu einer signifikant besseren Blutzuckereinstellung (im Durchschnitt mindestens 5,5 Stunden pro Tag mehr Zeit im Blutzuckerzielbereich), ohne dass dabei das Risiko für Unterzuckerungen anstieg [5-7]. Besonders hoch war der Nutzen für anspruchsvolle Patientengruppen wie Personen mit einer Hämodialysetherapie, künstlicher Ernährung und Pankreasoperationen [8, 9]. Die Grösse der Stichproben der Studien waren allerdings zu klein (n=44 bis 136), um mögliche Effekte einer besseren Blutzuckereinstellung auf das Patienten-Outcome zu untersuchen.

Weg von der Innovation zur Umsetzung

Trotz überzeugenden Ergebnissen in klinischen Studien bedarf es für die klinische Umsetzung voll-automatisierter Insulin-Therapien im Krankenhaus noch erhebliche Vorarbeit. Herausforderungen bestehen insbesondere in der Integration von Sensor- und Insulinpumpen-Daten in das Klinikinformationssystem, Regelungen für die Kostenübernahme und die Schulung von nicht-spezialisierten Gesundheitsfachpersonen in der Technologie-Anwendung (z. B. Insulininfusionsset-Wechsel nach zwei bis drei Tagen, Sensorwechsel nach zehn Tagen). Zusätzlich gilt es zu definieren, welche Patientengruppen sich für eine voll-automatisierte Closed-Loop-Insulintherapie qualifizieren. Eine signifikante Steigerung der Therapiequalität mit günstigem Verhältnis von Versorgungsaufwand und Nutzen ist insbesondere bei komplexen Patientinnen und Patienten mit rasch fluktuierendem Insulinbedarf, hohem Pflegebedarf und langer stationärer Verweildauer zu erwarten.
Auch wenn noch nicht abschliessend beurteilbar, birgt die voll-automatische Closed-Loop-Insulintherapie ein hohes Potential, die Sicherheit und Qualität der stationären Diabetesversorgung zu verbessern.

Für Sie zusammengefasst vom:

SGED/SSED-Kongress | 17.-18.11.2022 | Bern
Prof. Dr. med. et phil. Lia Bally
Leiterin Ernährungsmedizin, Adipositas, Metabolismus. Leiterin Forschung an der Universitätsklinik für Diabetologie, Endokrinologie, Ernährungsmedizin und Metabolismus am Inselspital Bern und an der Universität Bern.
1 Umpierrez GE, Smiley D, Jacobs S, et al. Randomized study of basal-bolus insulin therapy in the inpatient management of patients with type 2 diabetes undergoing general surgery (RABBIT 2 surgery). Diabetes Care. Feb 2011;34(2):256-61. doi:10.2337/dc10-1407
2 Aragon D. Evaluation of nursing work effort and perceptions about blood glucose testing in tight glycemic control. Am J Crit Care. Jul 2006;15(4):370-7.
3 Davis GM, Spanakis EK, Migdal AL, et al. Accuracy of Dexcom G6 Continuous Glucose Monitoring in Non-Critically Ill Hospitalized Patients With Diabetes. Diabetes Care. 07 2021;44(7):1641-1646. doi:10.2337/dc20-2856
4 Tripyla A, Herzig D, Joachim D, et al. Performance of a factory-calibrated, real-time continuous glucose monitoring system during elective abdominal surgery. Diabetes Obes Metab. Sep 2020;22(9):1678-1682. doi:10.1111/dom.14073
5 Bally L, Thabit H, Hartnell S, et al. Closed-Loop Insulin Delivery for Glycemic Control in Noncritical Care. N Engl J Med. Aug 2018;379(6):547-556. doi:10.1056/NEJMoa1805233
6 Boughton CK, Bally L, Martignoni F, et al. Fully closed-loop insulin delivery in inpatients receiving nutritional support: a two-centre, open-label, randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol. Mar 2019; doi:10.1016/S2213-8587(19)30061-0
7 Herzig D, Suhner S, Roos J, et al. Perioperative Fully Closed-Loop Insulin Delivery in Patients Undergoing Elective Surgery: An Open-Label, Randomized Controlled Trial. Diabetes Care. Sep 01 2022;45(9):2076-2083. doi:10.2337/dc22-0438
8 Bally L, Gubler P, Thabit H, et al. Fully closed-loop insulin delivery improves glucose control of inpatients with type 2 diabetes receiving hemodialysis. Kidney Int. Mar 2019; doi:10.1016/j.kint.2019.03.006
9 Krutkyte G, Roos J, Schuerch D, et al. Fully Closed-Loop Insulin Delivery in Patients Undergoing Pancreatic Surgery. Diabetes Technol Ther. Dec 14 2022; doi:10.1089/dia.2022.0400

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