Gesundheit geht durch den Magen

Gesundheit geht durch den Magen

Hintergrund
Ausgabe
2023/17
DOI:
https://doi.org/10.4414/saez.2023.21729
Schweiz Ärzteztg. 2023;104(17):0-20

Publiziert am 26.04.2023

Ernährung Was der Mensch isst, hat grossen Einfluss auf seine Gesundheit. Welche Lebensmittel und Ernährungsweisen Ärztinnen und Ärzte empfehlen können, weshalb Laboruntersuchungen bei der Diagnose von Mangelernährung nicht helfen und vieles mehr erklären unsere leicht verdaulichen Häppchen zum Thema Ernährung.
Frisches Obst tut dem Körper gut. Täglich dürfen es mehrere Portionen sein.
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Die Lebensmittelpyramide durchleuchtet

Wie kann sich ein Mensch gesund ernähren und wie kann man die Empfehlungen der Bevölkerung einfach verständlich erklären? Das sind hochkomplexe Fragen. Die Schweizer Lebensmittelpyramide bietet hier Orientierung – und wir nehmen sie genau unter die Lupe: Lebensmittel der unteren Pyramidenstufen sollten in grösseren Mengen konsumiert werden, Lebensmittel der oberen Stufen massvoll. Täglich ein bis zwei Liter Flüssigkeit werden hier empfohlen. Eine Studie aus dem Jahr 2022 empfiehlt allerdings, die Trinkmenge eher individuell nach dem Aktivitätsniveau festzulegen [1]. Wichtig: Kaffee kann auf die Flüssigkeitszufuhr angerechnet werden [2]. Auf der zweitgrössten Stufe stehen Gemüse und Früchte. Hier darf nach Herzenslust zugegriffen werden, wobei eine ausgewogene Einnahme der verschiedenen Produkte zu empfehlen ist. In einer Studie aus dem Jahr 2017 wird sogar die doppelte Menge als gesund angesehen: zehn Portionen statt der üblicherweise empfohlenen fünf am Tag [3]. Auf der nächsten Stufe werden drei bis vier Portionen an Getreideprodukten, Kartoffeln und Hülsenfrüchten empfohlen. Es folgen Milch oder Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier und Tofu. Ob täglicher Milchkonsum tatsächlich Vorteile hat, ist aber nicht gänzlich geklärt [4]. Öle, Fette und Nüsse – davon braucht der Körper nur wenig, dennoch sind sie wichtig. Wer jeden Tag eine Handvoll Nüsse isst, senkt das Risiko für Gefässerkrankungen [5]. Die Spitze der Lebensmittelpyramide bilden Süssigkeiten. Am besten nur selten naschen. Als besonders gesund erweist sich übrigens die mediterrane Küche [6] – vor allem zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen. Neben den einzelnen Lebensmitteln sind auch der ausgewogene Mix und die Zubereitung sehr wichtig. Viele Studien zeigen negative Effekte des «processed food» [7] – also lieber gleich selber zubereiten!
Die Lebensmittelpyramide können Sie online ansehen unter www.sge-ssn.ch/ich-und-du/essen-und-trinken/ausgewogen/schweizer-lebensmittelpyramide.
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Kommt ein Veganer in die Praxis…

Keine Milchprodukte, keine Eier, kein Fleisch – vegane Ernährung liegt im Trend. Oft werden moralische Aspekte wie das Tierwohl als Grund für die gezielte Ernährungsumstellung genannt, aber auch gesundheitliche Aspekte. Doch wie gesund ist vegane Ernährung wirklich? Was die Makronährstoffe betrifft, so ist die Proteinzufuhr bei veganer Ernährung im Vergleich zu allen anderen Ernährungsformen geringer, wie eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab [8]. Veganismus wird derselben Studie zufolge auch mit einer geringen Aufnahme der Vitamine B2, B3, B12, D, Jod, Zink, Kalzium, Kalium und Selen in Verbindung gebracht. Eine Metaanalyse des Steno Diabetes Center in Kopenhagen zeigt [9]: Vegane Ernährung hilft bei der Gewichtsabnahme. Doch die Effekte auf die Blutzucker- und Cholesterinwerte sind laut den Studienautoren eher gering. Ähnliches zeigt eine andere Auswertung verschiedener Beobachtungsstudien zum Thema vegane Ernährung aus dem Jahr 2022 [10]: Laut der Analyse gibt es Hinweise darauf, dass Veganismus mit einem höheren Risiko für Knochenbrüche verbunden sein könnte. Damit Veganerinnen und Veganer mit ihrer Ernährungsform keine gesundheitlichen Risiken eingehen und es nicht zum Nährstoffmangel kommt, ist eine gute Beratung wichtig.
Achtung: Bei Jugendlichen, während einer Schwangerschaft oder bei älteren Menschen ist besondere Vorsicht geboten.
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Krank und mangelernährt – was tun?

Chronische Krankheiten erhöhen das Risiko für eine Mangelernährung, weil der krankheitsbedingt gesteigerte Bedarf höher ist als die Zufuhr. Der Körper ist also unterversorgt – und zwar mit Energie, Proteinen und Nährstoffen wie Vitaminen. Die Ursachen sind vielfältig: Dazu gehören vor allem chronische Krankheiten, bösartige Erkrankungen wie Krebs, psychologische Leiden wie Depressionen, aber auch Probleme beim Kauen oder Schlucken. Um das Problem zu erkennen, gibt es verschiedene Screening-Fragen: Haben Sie unabsichtlich Gewicht verloren? Wenn ja, wie viel Kilo über drei und sechs Monate? Haben Sie wegen reduzierten Appetits weniger gegessen [11]? Auch sichtbare Zeichen können auf spezifische Nährstoffdefizite hinweisen, etwa Cheilosis (äussert sich zum Beispiel durch eine Schwellung der Lippen), blutiges Zahnfleisch oder Glossitis (eine wunde und zerklüftete Zunge). Allerdings helfen Laborparameter wie Albumin und Transferrin sehr wenig, da diese auch durch die Grundkrankheit stark verändert werden und deshalb nicht spezifische Ernährungsdefizite reflektieren [12]. Deshalb werden Laboruntersuchungen nicht zur Diagnose herangezogen. Die Therapie basiert auf zwei Säulen: Zum einen wird die zugrunde liegende Krankheit behandelt, zum anderen der Ernährungsstatus verbessert. Eine individuelle Ernährungstherapie mit dem Ziel der Bedarfsdeckung zeigt eindrückliche Resultate mit Reduktion der Sterblichkeit und Verbesserung der Lebensqualität [13].
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Krebsdiäten gibt es nicht

Patientinnen und Patienten mit einer Tumorerkrankung haben häufig einen ausgeprägten Appetitverlust und verlieren so Muskelmasse, was zu Sarkopenie und Kachexie führen kann. Um dem vorzubeugen, sollte der Speiseplan individuell zusammengestellt werden mit dem Ziel der Bedarfsdeckung. Das empfiehlt Prof. Dr. med. Philipp Schütz von der Gesellschaft für klinische Ernährung der Schweiz (GESKES) auf Anfrage. Denn je nach Tumorart, Erkrankungsstadium, Alter und allgemeinem Gesundheitszustand braucht jeder Patient, jede Patientin andere Nährstoffe. In der Regel sind häufige, über den Tag verteilte kleine Mahlzeiten und energiereiche Getränke empfehlenswert. Jede Mahlzeit sollte laut Philipp Schütz protein- und fettreiche Lebensmittel enthalten. Sogenannte Anti-Krebsdiäten gibt es aber nicht [14]. Krebs kann nicht über die Ernährung oder über einzelne Vitamine und Mikronährstoffe geheilt oder «ausgehungert» werden. Allerdings spielen durchaus einige Ernährungsfaktoren bei der Krebsentstehung eine Rolle [15]. In einem gewissen Rahmen lässt sich über die Ernährung das Risiko senken, an Krebs zu erkranken. Alkohol, Salz sowie rotes und verarbeitetes Fleisch werden als Risikofaktoren für zumindest einzelne Krebsarten angesehen. Dagegen gelten Lebensmittel wie zum Beispiel Obst, Gemüse, Ballaststoffe und Kaffee als protektive Faktoren.
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Die richtige Ernährung bei Osteoporose

Die Ernährung beeinflusst ganz wesentlich die Knochenstabilität. Wichtigster Baustein der Knochen ist das Kalzium. Damit die Knochen gesund bleiben und der altersbedingte Abbau möglichst hinausgezögert wird, muss über die Nahrung täglich genügend Kalzium aufgenommen werden [16]. Gute Kalziumlieferanten sind Milch und Milchprodukte. Sie liefern zusätzlich auch Eiweiss, das für die Knochen- und Muskelgesundheit ebenfalls wichtig ist. Auch einige grüne Gemüse (Broccoli, Mangold, Spinat), Kräuter, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte enthalten Kalzium. Die individuelle Kalziumzufuhr kann mit Hilfe eines Rechners ermittelt werden: www.rheumaliga.ch/calciumrechner. Damit das Kalzium aus der Nahrung aufgenommen und in den Knochen eingebaut werden kann, braucht der Körper Vitamin D, das zu den Hauptmahlzeiten eingenommen werden sollte. Früchte und Gemüse sind ebenfalls empfehlenswert, da sie Kalium, Magnesium, Vitamin C und basische Substanzen enthalten, denen eine knochenschützende Wirkung zuerkannt worden ist [17]. Auch Vitamin K fördert die Festigung der Knochengrundsubstanz. Es ist hauptsächlich in Früchten und grünblättrigem Gemüse enthalten.
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Wie sinnvoll sind Laboruntersuchungen?

Der Nutzen von Blutuntersuchungen für die Abklärung einer Mangelernährung ist laut Prof. Dr. med. Philipp Schütz, Präsident der Gesellschaft für klinische Ernährung der Schweiz (GESKES), sehr umstritten, mit wenig klinischen Studien, die hier tatsächlich einen Benefit zeigen und entsprechend wenig klaren Empfehlungen. Generell gilt, dass Blutentnahmen jeweils fallbasiert gemacht werden sollten. Zum Beispiel bei einem Patienten oder einer Patientin mit einer Anämie sei es sinnvoll, Substrakte wie Eisen (Ferritin), Vitamin B12 und Folsäure zu bestimmen und allenfalls gezielt zu substituieren. Auch sollte bei Personen mit einem einseitigen Ernährungsverhalten (zum Beispiel bei Veganerinnen und Veganern) und gleichzeitig erhöhtem Bedarf (zum Beispiel bei Jugendlichen oder in der Schwangerschaft) gezielt nach Nährstoffdefiziten geschaut werden. Der Vitamin-D-Mangel ist laut Philipp Schütz bei Menschen in Pflegeheimen oder mit einer Mangelernährung stark verbreitet [18], sodass eine Supplementierung auch ohne Messung des Blutspiegels ihm zufolge eine deutlich kostengünstigere Strategie darstellt, als die Werte vorab zu bestimmen. Zudem seien die Vitamin-D-Spiegel stark saisonal bedingt fluktuierend und teuer.
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Der Hype um die Nahrungsergänzungsmittel

Vitamine und Mikronährstoffe spielen bei der Immunabwehr eine sehr wichtige Rolle und der Bedarf dieser Stoffe steigt während einer Infektion an. Deshalb ist in der Allgemeinbevölkerung die Einnahme von Supplementa weit verbreitet mit der Idee, die Supplementation stärke das Immunsystem. Dieser Trend war auch in der COVID-Pandemie stark ausgeprägt, mit wenig Evidenz eines Benefits [19]. Generell gilt jedoch: Für gesunde Menschen, die sich abwechslungsreich und ausgewogen ernähren, sind Nahrungsergänzungsmittel in der Regel nicht notwendig [20]. Einige Ausnahmen gibt es allerdings, wie zum Beispiel das Vitamin D. Hier empfiehlt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) [21]: «Vitamin D sollte ab 65 Jahren in einer Dosierung von 800 Internationalen Einheiten (IE) pro Tag in Form von Tropfen oder Kapseln eingenommen werden.» Diese Empfehlung bezeichnet Prof. Dr. med. Philipp Schütz, der zu Mangelernährung forscht, als pragmatisch und präventiv, mit dem Ziel, dass alle Risikopersonen in der Schweiz einen Vitamin-D-Spiegel im Normbereich haben und somit kein Vitamin-D-Mangel besteht. Kontrovers ist aber die Frage, wer tatsächlich eine Risikoperson ist. Eine randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Studie aus Australien mit rund 21​ 000 Partizipanten führte zu der Erkenntnis, dass zusätzliches Vitamin D bei über 60-jährigen Personen nicht zu einer Verringerung der Gesamtmortalität und auch nicht zu weniger Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen führte [22]. In dieser Studie aber waren wenige der Teilnehmenden unterversorgt mit Vitamin D, wie Philipp Schütz bemerkt. Auch andere Nahrungsergänzungsmittel gelten als wenig wirksam. So rät etwa die U.S. Preventive Services Task Force davon ab, Betacarotin beziehungsweise Vitamin E zu supplementieren [23]. Einzelne Studien haben sogar erhöhte Krebsrisiken mit der fettlöslichen Vitamin-E-Supplementation gefunden. Auch Omega-3-Supplementa sind umstritten, wie Sie im Artikel auf Seite 42 dieser Ausgabe im Swiss Medical Forum lesen. Zudem hat eine Studie mit rund 18 ​000 Probanden aus dem Jahr 2021 gezeigt, dass bei über 50-jährigen Personen, die Omega-3 supplementierten, das Risiko einer Depression anstieg [24]. Somit führt kein Weg vorbei an einer ausgewogenen und gesunden Ernährung sowie regelmässiger körperlicher Aktivität.
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Ein noch grösseres Buffet an Ernährungswissen

Zertifikatskurs an der Uni Bern: Die Gesellschaft für Klinische Ernährung der Schweiz GESKES bietet in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät der Universität Bern den Zertifikatskurs Klinische Ernährung «Certificate of Advanced Studies in Clinical Nutrition» (CASCN) an. Ziel des Kurses ist es, die Kompetenzen in der Klinischen Ernährung zu fördern, insbesondere die Qualität und Effizienz der Massnahmen. www.unibe.ch/weiterbildungsangebote/cas_klinische_ernaehrung/index_ger.htmlDie GESKES hat zudem neu seit 2021 den Zusatztitel «Interdisziplinärer Schwerpunkt Ernährungsmedizin» erarbeitet. Ziel dabei ist es, ein vertieftes Wissen in der evidenzbasierten Ernährungsmedizin zu erlangen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen zur Prävention, Diagnostik und Therapie befähigt werden. Weitere Informationen sowie das Programm des Schwerpunkts gibt es unter www.geskes.ch/schwerpunkt-ernaehrungsmedizin.aspxLesen Sie auch den Beitrag auf Seite 42 dieser Ausgabe über Omega-3-Supplementa sowie das Interview mit Prof. Dr. med. Philipp Schütz auf Seite 76.
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Krebsdiäten gibt es nicht

Patientinnen und Patienten mit einer Tumorerkrankung haben häufig einen ausgeprägten Appetitverlust und verlieren so Muskelmasse, was zu Sarkopenie und Kachexie führen kann. Um dem vorzubeugen, sollte der Speiseplan individuell zusammengestellt werden mit dem Ziel der Bedarfsdeckung. Das empfiehlt Prof. Dr. med. Philipp Schütz von der Gesellschaft für klinische Ernährung der Schweiz (GESKES) auf Anfrage. Denn je nach Tumorart, Erkrankungsstadium, Alter und allgemeinem Gesundheitszustand braucht jeder Patient, jede Patientin andere Nährstoffe. In der Regel sind häufige, über den Tag verteilte kleine Mahlzeiten und energiereiche Getränke empfehlenswert. Jede Mahlzeit sollte laut Philipp Schütz protein- und fettreiche Lebensmittel enthalten. Sogenannte Anti-Krebsdiäten gibt es aber nicht [14]. Krebs kann nicht über die Ernährung oder über einzelne Vitamine und Mikronährstoffe geheilt oder «ausgehungert» werden. Allerdings spielen durchaus einige Ernährungsfaktoren bei der Krebsentstehung eine Rolle [15]. In einem gewissen Rahmen lässt sich über die Ernährung das Risiko senken, an Krebs zu erkranken. Alkohol, Salz sowie rotes und verarbeitetes Fleisch werden als Risikofaktoren für zumindest einzelne Krebsarten angesehen. Dagegen gelten Lebensmittel wie zum Beispiel Obst, Gemüse, Ballaststoffe und Kaffee als protektive Faktoren.
12 Ferguson M. Development of a Valid and Reliable Malnutrition Screening Tool for Adult Acute Hospital Patients. Nutrition 1999;15(6):458–64.
Weiterführende Links:
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV www.blv.admin.ch/blv/de/home.html
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE
Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie
Allergiezentrum Schweiz
(bzgl. Nahrungsmittelallergien)
Schweizerische Diabetes-Gesellschaft
Krebsliga
Empfehlungen für Hausärztinnen und Hausärzte